Was man weiß, steht einem im Weg
Shownotes
In „Der Apfelbaum“ hat der Schauspieler Christian Berkel vor sechs Jahren von seiner Familie erzählt. Sein neuer Roman „Sputnik“ trägt nicht ohne Grund den Kosenamen, den Christian Berkel in seiner Familie in Kindheitstagen hatte. Julia Encke hat mit ihm auf der F.A.Z.-Bühne auf der Frankfurter Buchmesse gesprochen. Eine Sonderfolge des Bücher-Podcasts.
„Sputnik“ von Christian Berkel auf der Website des Ullstein Verlags
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00:00:08: In der Apfelbaum hat der Schauspieler Christian Berkel vor sechs Jahren von seiner Familie erzählt.
00:00:14: Sein neuer Roman, Sputnik, trägt nicht ohne Grund den Kosenamen, den Christian Berkel in seiner Familie in Kindheitstagen hatte.
00:00:23: Julia Enke hat mit ihm auf der FHZ-Bühne auf der Frankfurter Buchmesse gesprochen.
00:00:27: Eine Sonderfolge des Bücher-Podcasts.
00:00:32: Herzlich willkommen hier am Stand der FAZ.
00:00:35: Ich bin sehr froh, hier neben mir Christian Berkel begrüßen zu dürfen.
00:00:40: Christian Berkel, kennen Sie alle natürlich als Schauspieler von Helmut Dietels Rossini bis Tarantinos in Glorious Buster.
00:00:49: Ich könnte jetzt zahlreiche Filme aufzählen.
00:00:52: Und aber auch seit zwei Tausend Siebzehn nicht nur als Schriftsteller, sondern auch auf jeden Fall gleich als Bestseller-Autor.
00:01:00: Du hast drei Eigentlich Bende einer, ich weiß nicht, ob du selber Trilogie nennst, einer Familienromantrilogie veröffentlicht, der Apfelbaum Arda und jetzt den Roman, über den wir sprechen wollen, Sputnik.
00:01:19: Dazu gehört, dass du eine unglaubliche Familiengeschichte hast.
00:01:24: Und wir kommen gleich noch dazu, weil der Roman ist natürlich fiktiv und es erhält aber sehr viele Elemente des realen Lebens oder deiner realen Geschichte oder der deiner Vorfahren.
00:01:35: Und man muss vorweg schicken.
00:01:38: Wenn man jetzt erstmal über deine wirkliche Familiengeschichte spricht, klingt das alles schon wie ein Roman.
00:01:45: Deine Großeltern haben sich kennengelernt, Monteverita, dieser Künstlerkolonie.
00:01:51: Vielen von ihnen ist das sicher ein Begriff.
00:01:53: Und der Großvater war ein bisexueller Anarchist und Nudist, der ein Verhältnis hatte mit dem Schriftsteller Erich Mühsam.
00:02:07: und Hermann Hesse therapiert hat.
00:02:10: Und die Großmutter ... ist in den spanischen Bürgerkrieg gegangen, mit einem jüngeren Liebhaber, wurde dort dann zum Tode verurteilt von Franco und interniert und konnte aber begnadet werden und hat auf diese Weise überlebt.
00:02:27: Und vielleicht kannst du selber erzählen, deine Eltern verbindet auch eine unglaublich verworrene, also jetzt nicht im Roman, eine tatsächlichen Eltern, eine verrückte Geschichte, die glücklicherweise im Kaffee-Kranzler endet.
00:02:42: Und dann kommen wir zu Sputnik zu deiner Geburt sehr viel später.
00:02:46: Vielleicht kannst du kurz erzählen, wie diese verrückte Geschichte auch deiner Großeltern ist.
00:02:52: Meiner Eltern, meinst du jetzt?
00:02:52: Entschuldigung,
00:02:53: deiner Eltern natürlich.
00:02:54: Also die haben sich tatsächlich... bisschen anders als im Roman, als im Apfelbaum kennengelernt.
00:03:00: Sie haben sich natürlich meinen Großvater kennengelernt, weil mein Großvater, das habe ich im Roman etwas anders erzählt, wie gesagt, bisexuell war und im Tiergarten spazieren ging und da einen jungen Mann sitzen sah, den er sehr attraktiv fand.
00:03:16: und der war siebzehn Jahre alt und erkennbar aus proletarischen Verhältnissen und las saß auf der Parkbank Lars Momsens römische Geschichte.
00:03:28: Das fand er in der Kombination schon mal relativ interessant und fragte den ob er das verstehen würde, was er da lesen würde.
00:03:35: und er sagte ja ja tue ich und von mir aus können sie mal auch mal eine Entschuldigung schreiben, ich schwänze nämlich gerade die Schule.
00:03:43: und dann sagte er das mache ich unter der Bedingung, dass sie mich besuchen kommen.
00:03:47: und dann kam er als Besuch und Die Tür öffnete ihm meine Mutter, die damals dreizehn war, also er siebzehn, sie dreizehn.
00:03:57: Und der Legende nach haben sie sich sofort, wenn es stimmt, ineinander verliebt.
00:04:02: Und das hielt dann tatsächlich ein ganzes Leben bzw.
00:04:05: wurde natürlich durch den Krieg unterbrochen.
00:04:08: Sie durften natürlich weder heiraten noch zusammen sein, weil sie Jüdin war.
00:04:14: Und sie ist, ist, geflohen.
00:04:18: Er kam dann zum Roten Kreuz als junger Arzt und später in russische Gefangenschaft.
00:04:24: Da wurden sie dann getrennt.
00:04:27: Hatten sich aber noch mal viervierzig in Leipzig getroffen.
00:04:31: Aber sie wurde vorher interniert.
00:04:33: Sie
00:04:33: wurde vorher interniert in Frankreich, also ins Lager, in Gürz, was eines der schlimmsten Lager in Frankreich war.
00:04:40: Also wer dreinvierzig noch dort war, hat nicht überlebt.
00:04:43: Die wurden alle nach Auschwitz abtransportiert.
00:04:47: Sie auf Mister Jürgen Wegen, die ich nie wirklich nachverfolgen konnte.
00:04:53: Auch sie hat es glaube ich nicht genau gewusst.
00:04:56: kam raus aus dem Lager, wurde in einen Zug gesetzt ohne Papiere mit der Auflage nach Leipzig zu fahren und sich dort der Polizei zu melden, was sie natürlich nicht getan hat.
00:05:05: Sie ist untergetaucht.
00:05:06: Er hat sie irgendwie gefunden.
00:05:08: Sie haben eine Nacht miteinander verbracht, in der mein Bruder gezeugt wurde.
00:05:12: So, dann ging er zurück an die Frontgerät in Gefangenschaft.
00:05:18: Der Krieg war vorbei, sie hätte in Deutschland bleiben können, hat es nicht ausgehalten, weil sie gesehen hat, dass die Nazis einfach aus allen Löchern wieder hervorgekrochen kam und ist nach Argentinien, weil sie dort noch eine Tante hatte und ist dort neun Jahre geblieben.
00:05:33: Die beiden haben sich also zehn Jahre nicht gesehen.
00:05:35: Und dein Vater hat, glaube ich, dann jemand anderes
00:05:38: geheiratet als er zurückkam.
00:05:39: Er hatte sie aus den Augen verloren völlig.
00:05:43: Sie kommt zurück mit ihrem Kind nach Deutschland, geht zu einer Freundin und die sagt, was ist denn, also ich sage jetzt mal den echten Namen nicht wie im Roman, was ist denn aus dem Hermann geworden?
00:05:56: Und sie sagt ja weiß ich auch nicht völlig den Kontakt verloren, sagt der guckt doch mal im Telefonbuch nach, vielleicht steht er ja drin.
00:06:02: Und er stand drin.
00:06:02: Und er stand drin und sie ruft an und gibt sich aber nicht zu erkennen.
00:06:09: lässt ihn raten und er hat sie zehn Jahre nicht gehört und erkennt die stimme nicht und sagt irgendwann nach mehreren fehlversuchen also entschuldigung jetzt müssen sie mir weiterhelfen.
00:06:20: haben wir denn irgendwas gemeinsam?
00:06:22: und dann sagt sie ja einen sohn und dann haben sie sich sofort getroffen und er hat sich scheiden lassen und hat sie geheiratet.
00:06:31: und dann gab es noch einen sohn
00:06:33: und dann gab es noch einen sohn.
00:06:35: Und der wurde in dem Jahr geboren und auch in dem Monat, in dem der erste Sputnik in die Erdumlaufbahn geschossen wurde.
00:06:45: Und als der Vater ihn dann abruhlen wollte aus der Klinik, überreichte man ihm dieses Baby mit den Worten, hier kommt ihr Sputnik.
00:06:54: Und dann guckte er das Bündel so an und sagte, das ist nicht mein Sohn.
00:07:00: Und sagt er, natürlich ist das ihr Sohn, sagt er, nein, nein, ich hab den kurz nach der Geburt gesehen, das ist er nicht.
00:07:08: Er sagt, gucken Sie bitte noch mal in den Unterlagen nach.
00:07:11: Und sie guckte nach und er hatte Recht.
00:07:14: Dann wurde dieses Geschäft rückabgewickelt.
00:07:19: Und später hat dann meine Mutter immer gesagt, wenn sie sich über mich geärgert hat, also diese Geburtsunterlagen hat ja nie jemand zu Gesicht bekommen.
00:07:28: Aber du gehst doch davon aus, dass du der Sohn deiner Eltern bist.
00:07:32: Ja, ich gehe davon aus.
00:07:34: Gleichzeitig habe ich natürlich, als ich angefangen habe, darüber nachzudenken, aus welcher Perspektive ich diese Geschichte erzählen könnte oder wer der Erzähler sein sollte, gedacht, warum nicht dieser Sputnik?
00:07:48: Weil es blieb ja ungeklärt, ob ich nun ich bin oder vielleicht doch ein anderer.
00:07:55: Die Frage ist ja immer unsicher.
00:07:57: zu beantworten und dachte, warum nicht dieser Sputnik, der eben ich sagt und der ich aber nicht immer bin?
00:08:07: Interessant ist ja, dass du diese Familiengeschichte ja nicht von Beginn an wusstest, sondern auch sukzessive erfahren hast.
00:08:14: Dazu gehört auch die Tatsache, dass deine Mutter in Argentinien konvertiert zum katholischen Glauben und du sehr lange nicht wusstest, dass sie Jüdin war und eigentlich das durch Zufall erfahren hast.
00:08:27: Also was hat das in dir ausgelöst und was hat das insgesamt auch bedeutet für vielleicht deinen Blick auf die Erforschung der eigenen Familiengeschichte?
00:08:39: Wie bist du überhaupt vorgegangen, Dinge zu erfahren, weil nicht alle waren ja verfügbar, nicht alles war noch irgendwie zu dokumentieren?
00:08:47: Also das war tatsächlich, deswegen heißt der erste Roman der Apfelbaum, weil ich es unter einem Apfelbaum erfahren habe.
00:08:54: Und da kam eben Besuch und ich hatte gehört, der Mann sei Amerikaner.
00:09:00: Und dann habe ich mich erst darüber gewundert, dass er Deutsch spricht und dass er deutsch akzentfrei spricht.
00:09:05: Also ich war damals so sechs, sieben.
00:09:10: Und dann fragte ich, wie das denn sein könne.
00:09:12: und dann sagte meine Mutter, der Walter ist Jude und musste damals emigrieren, ist nach Amerika gezogen, weil er sonst wahrscheinlich umgebracht worden wäre.
00:09:20: und dann guckte ich ihn so ganz neugierig an und hörte sie auf einmal sagen so ganz leise neben mir du bist auch ein bisschen jüdisch und ich fragte dann ja nicht ganz sagt sie nein nicht ganz?
00:09:35: ja bin ich denn ganz deutsch?
00:09:37: nein auch nicht ganz.
00:09:39: und in dem moment fing ich fürchterlich an zu heulen und ich habe dann später viel viel später immer darüber nachgedacht was Warum eigentlich?
00:09:50: Was hat mich da so erschreckt?
00:09:52: Und vielleicht waren es diese zwei kleinen Wörter nicht ganz, also weil für ein Kind ist eben etwas, was nicht ganz ist, kaputt.
00:10:00: Und was kaputt ist, ein Spielzeug, was kaputt ist, kann man nicht mehr gebrauchen.
00:10:05: Und das war insofern sehr erschreckend natürlich, auch wenn es sicherlich nicht so gemeint war.
00:10:11: Und dann fing ich irgendwann natürlich an nachzufragen.
00:10:14: und merkte, dass da immer eine Mauer war.
00:10:17: Es war einfach das große Tabu, man sprach in dieser Zeit nicht.
00:10:21: Und das war das, was dann später auch den Anstoß gegeben hat, weil ich gemerkt habe, immer, wenn ich mit Leuten geredet habe, aus meiner Generation, dass wir alle mit diesem Schweigen aufgewachsen sind und alle so ein bisschen wie... Also, wie wenn ich jetzt das Buch hier nehmen würde und da einfach Kapitel rausreißen würde oder wahllos Seiten rausreißen würde und man immer so Lehrstellen vor sich hätte, wo man nicht genau weiß, wie ist es denn von da nach da gekommen.
00:10:49: Und das ist mir bei der Generation extrem aufgefallen.
00:10:53: Und das war eigentlich der Anstoß.
00:10:55: Und dann ging ich los, sehr spät, um meine Mutter tatsächlich zu befragen.
00:11:01: mit Stift und Papier und Aufnahmegeräte und merkte... Sehr
00:11:04: spät heißt?
00:11:05: Sehr spät.
00:11:06: Also... ...zwei Tausendzehn.
00:11:08: Ah, okay.
00:11:09: Also wirklich noch gar nicht.
00:11:09: Ja, wirklich sehr spät und merkte in dem Moment an dem Tag, als ich Fragen stellte, dass sie dabei war, in die Demenz abzugleiten.
00:11:20: und dass nun nichts mehr zuverlässig war.
00:11:24: Und ist das auch ein Grund, warum du hättest ja auch deine Autoverographie schreiben können?
00:11:28: Ist das auch ein Grund, also sozusagen diese nicht ganz gesicherten Quellen?
00:11:33: Oder ist das viel mehr so?
00:11:36: Ich meine, ich finde es ja so interessant, dass dieses, was du eben geschildert hast, ein bisschen deutsch, ein bisschen jüdisch, dass diese nicht klaren Verhältnisse, in denen du immer gehalten wurdest.
00:11:48: ob die vielleicht auch etwas zu tun haben, mit der einer Tätigkeit als Schauspieler oder überhaupt, dass du Schauspieler wurdest, weil es ja immer ein Leben zwischen den Welten war oder zwischen den Identitäten.
00:12:00: Du bist ja sehr früh nach Frankreich gegangen auch, um auch nicht Deutsch, sondern du wolltest Franzose sein, Französisch zu sein.
00:12:09: Das heißt, es gab immer... Keine Eindeutigkeit.
00:12:12: War das die beste Disposition, um Schauspieler zu werden?
00:12:16: Wahrscheinlich, ja.
00:12:17: Natürlich nicht bewusst, aber unbewusst bestimmt.
00:12:23: Ich kann mich erinnern, ich habe tatsächlich in Frankreich einen Französisch-Lehrer, den ich sehr mochte und der mich, glaube ich, auch mochte.
00:12:31: Der nahm mich irgendwann mal zur Seite und sagte, Berkel, Sie kommen aus einer geteilten Stadt, aus einem geteilten Land.
00:12:41: Sie sind zwischen zwei Kulturen aufgewachsen, zwei Sprachen.
00:12:46: Ich glaube, das mit dem Judentum wusste er nicht.
00:12:49: Das endete damit, dass er sagte, in Ihnen ist verdammt viel Teilung, Sie müssen aufpassen.
00:12:56: Und Sie werden sich irgendwann entscheiden müssen.
00:12:59: Und das hat mich wirklich sehr lange begleitet, diese Frage, muss ich das eigentlich?
00:13:03: Und was heißt das, wenn ich es muss?
00:13:06: Und der Anstoß, das überhaupt nicht ich auch nicht wusste, aber später habe ich es gemerkt, der Anstoß, das schreiben zu wollen, war sicherlich ein Versuch, diese merkwürdige Familie, in der ich eben auch irgendein, eine merkwürdige Rolle spielte, genauer anzugucken und um am Ende vielleicht festzustellen.
00:13:32: Ja, es gibt eben diese Existenzen zwischen den Stühlen.
00:13:36: Nicht nur die auf dem einen oder auf dem anderen.
00:13:38: Man muss sich nicht zwangsläufig entscheiden.
00:13:41: So dass dann es nicht nur darum ging, dass man, dass du jetzt nicht alle Quellen hattest, sondern es ging auch darum, diese Teilung vielleicht in dir selber schriftstellerisch produktiv zu machen.
00:13:52: Also nicht nur schauspielerisch, deshalb auch ein Roman, also eine Roman Trilogie.
00:13:58: Ja, und ich habe, was wirklich witzig ist, Wie gesagt, über die meisten Dinge, über die ich da schreibe, hatte ich keine wirklichen Informationen.
00:14:10: Weder über Gürz, noch über das Lager in Russland, noch über die Zeit im Dritten Reich.
00:14:16: Es wurde darüber nicht gesprochen, sehr, sehr wenig.
00:14:19: Es gab eine einzige Zeit, über die meine Mutter viel gesprochen hat, und das war Argentinien, über ihr Leben dort.
00:14:25: Und das war so toll und so positiv, dass ich immer dachte, Also, neun Jahre reines Glück.
00:14:33: Ich weiß nicht, ob ich das so glaube.
00:14:37: Und dann bin ich per Zufall auf den Nachlass meines Großvaters in der Akademie der Künste gestoßen.
00:14:44: Der liegt dort?
00:14:44: Der liegt dort, in der Kochstraße.
00:14:48: Und fand einen Konvolut wirklich groß an Briefen.
00:14:53: Und zwar an alles Briefen.
00:14:54: Der heißt Hermann
00:14:56: Bergen?
00:14:56: Nein, nein, das ist ihr Vater gewesen, Johannes Nohl.
00:15:01: Und der war eben auch Schriftsteller, war dann in der DDR, ist also programmatisch in die DDR, also sehr bewusst in die DDR gegangen.
00:15:11: Sein Bruder, also mein Großonkel Hermann Null, war der erste Inhaber eines Lehrstuhls für Pädagogik an der Humboldt Uni.
00:15:21: Also mit siebenundzwanzig, glaube ich, nicht.
00:15:23: Damals war ja die Pädagogik eigentlich ein Teilbereich der Philosophie und damals wurde das zum ersten Mal getrennt und ein eigener Lehrstuhl wurde dafür geschaffen.
00:15:32: Also das war so schon alles sehr spannend und dann fand ich dieses Konvolut an Briefen meiner Mutter, die sie aus Argentinien an ihnen geschrieben hatte.
00:15:41: Und es war so ziemlich das Gegenteil von dem, was sie mir erzählt hatte.
00:15:45: Es war eine extrem unglückliche Zeit.
00:15:49: Es war der Beginn einer heftigen Depression und es ging alles schief.
00:15:56: und sie hatte so und da dachte ich, da wusste ich spätestens da, dass es in Roman wird.
00:16:04: Du beginnst diesen Roman, den ich, ich bin übrigens eigentlich grundsätzlich Leserin und nicht Hörbuchhörerin.
00:16:11: Bei deinem Roman habe ich eine Ausnahme gemacht.
00:16:13: Du hast ein fantastisches Hörbuch.
00:16:15: Es hört sich, also kann ich sehr, sehr empfehlen.
00:16:18: Du fängst es an mit einer Geburt.
00:16:20: Du schwillest nämlich deine Geburt.
00:16:22: Eine ziemlich lange, exzessive Szene.
00:16:26: Warum war dir das so wichtig, so einzusteigen und dich quasi erstmal selbst von innen, also im Mutterleib und dann außen selber zu betrachten?
00:16:40: Also, bei allen drei Romanen, beim ersten, da wusste ich es natürlich noch nicht, habe ich gemerkt, die große Schwierigkeit des autofiktionalen Schreibens ist eben der wahre Teil.
00:16:56: nicht der Fiktive.
00:16:58: Also das, was man weiß, steht einem erst mal sehr im Weg, weil man sich davon gar nicht so leicht befreien kann.
00:17:05: Und das heißt aber noch lange nicht, egal wie interessant es klingen mag, dass es Figuren werden oder sind.
00:17:14: Es sind erst mal nur Menschen, die man persönlich kennt.
00:17:17: Und man muss eine Distanz finden.
00:17:21: Sie müssen künstlich werden im Grunde genommen.
00:17:25: Und mit mir selber war das natürlich noch ein bisschen schwieriger als mit meinen Eltern zum Beispiel.
00:17:31: Weil da wusste ich ja nun bedeutend mehr, was wann, wie vorgefallen war.
00:17:38: Und vielleicht war das so ein erster Versuch, dass ich irgendwie, vielleicht wollte ich auch damit klarstellen, dass es nicht autobiografisch ist, denn dass ich mich an die Phase nicht erinnern kann.
00:17:49: Es beginnt ja wirklich im Mutterleib, das wird jeder leicht denken können.
00:17:55: Und dann hat mich das also mich fasziniert, diese vorsprachliche Zeit so unglaublich, also auch die Zeit dann so zwischen diese ersten zwei bis drei Lebensjahre, wo wir ja aus so einer Bilderwelt oder vielleicht in der Welt aus Bildern und Tönen kommen, die ja interpretationsfrei ist.
00:18:18: Wir interpretieren ja, wir können erst ab dem Moment, wenn wir anfangen zu sprechen, fangen wir auch an zu interpretieren bis zum Schluss und fangen dann an unsere Wirklichkeit zu konstruieren.
00:18:30: Und diese zwei verschiedenen Ebenen, der nicht konstruierten und der konstruierten Wirklichkeit, das war das, was mich da gereizt hat.
00:18:41: Als du erfahren hast, dass deine Mutter Jüdin ist, was hatte das für dich im Leben für Konsequenzen?
00:18:46: Also bist du selber zum Jugendtum übergetreten?
00:18:50: Wie lebst du heute?
00:18:52: Also es ging ja schon mal damit los, dass sie... anfing überhaupt mich damit zu beschäftigen, weil es wurde das zu einem heftigen Streitpunkt zwischen uns.
00:19:03: Sie hat sich immer als Halbjürgen bezeichnet, weil
00:19:06: ein Begriff der Nazis ist.
00:19:08: Ein Begriff der Nazis, weil ihr Vater nicht Jude war, aber ihre Mutter.
00:19:12: So und ich habe immer gesagt, es kann nicht dein Ernst sein, dass du die Sprache deiner Verfolger wählst, um deine Identität zu definieren.
00:19:22: Es war nicht.
00:19:23: Also da wurde sie auch wirklich wütend, wenn ich das gemacht habe.
00:19:28: Ich glaube für sie hatte deshalb genau die entgegengesetzte Bedeutung.
00:19:32: Es bedeutete, dass sie eben zur Hälfte noch ein Recht an Zugehörigkeit zur deutschen Identität hatte, die man ihr eben über Nacht quasi geraubt hatte.
00:19:43: Sie hatte keine Identifikation mit dem Judentum, weil die Eltern waren beide Anarchisten, die waren totaler Atheisten.
00:19:51: Also ihre Mutter hatte mit Religion gar nichts, da hat sie auch keine Berührungspunkte gehabt.
00:19:57: Sie hat von ihrem Judentum durch die Nazis erfahren, was bei einigen Juden so damals gewesen ist.
00:20:05: Und bei mir war es dann, als ich das Erfuhr jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde, wie es im jüdischen Glauben ist.
00:20:17: Und ich immer gemerkt hatte, ich habe mich immer in der katholischen Kirche komisch gefühlt.
00:20:22: Das einzige, was ich da spannend fand, war der theatralische Aspekt.
00:20:26: Aber ansonsten fand ich, ist man da als Mensch relativ an die Seite gedrängt, im Gegensatz zum Judentum.
00:20:34: schaut man sich eine Konfirmation an oder in der Bar Mitzwa.
00:20:39: In der Bar Mitzwa steht wirklich dieser dreizehnjährige Junge oder Mädchen stehen im Zentrum nicht im Sinne der Egozentrik, sondern im Sinne eines gestärkten Ichs für die Gemeinschaft.
00:20:52: Und bei den Katholiken oder auch Protestanten ist es ja ein bisschen so eine Massenveranstaltung, wo alle einmal durchgewunken werden und im Zentrum steht die Kirche.
00:21:02: Und das Individuum wird erst mal klein gehalten.
00:21:06: Und also das fand ich schon mal sehr viel anziehender, aber das sind jetzt so rationale Argumente.
00:21:16: Das Emotionale war, als ich sehr, sehr, sehr spät, ich glaube mit fünfzig, das erste Mal in eine Synagoge kam, eingeladen war zu einer Bar mit, kam ich da rein, setzte mich dahin, meine Frau auf der Seite der Frauen.
00:21:35: Ich auf der Seite der Männer und in dem Moment schossen mir die Tränen aus den Augen und ich konnte es auch nicht erklären.
00:21:43: Es war, es war einfach so.
00:21:47: Ein Gefühl der Zugehörigkeit.
00:21:48: Es war ein Gefühl, also vielleicht einer, einer komplizierten, einer auch zum Teil nicht nachholbaren Zugehörigkeit oder Geschichte.
00:22:02: Nicht weil man kann nicht.
00:22:04: Also das, was eine Sozialisation nicht stattgefunden hat, kann man nicht einfach mal im Schnellgang nachholen.
00:22:10: Das ist so.
00:22:12: Vielleicht eine letzte Frage.
00:22:14: Du drehst ein Bad und so kennt man dich nicht.
00:22:17: Und du spielst nämlich gerade einem, wie du mir schon verraten hast, jüdischen KZ-Arzt bei Dreharbeiten.
00:22:23: Vielleicht kannst du abschließend noch kurz erzählen, was das für eine Rolle ist.
00:22:28: Ja, das ist eine ziemlich heftige wahre Geschichte.
00:22:32: Das ist ein jüdischer Frauenarzt aus Köln, Dr.
00:22:36: Maximilian Samuil, also eine wahre Geschichte, der mit seiner Familie, also zwei Kinder hatten sie, die schon älter waren, nach London schon geschickt, und die Tochter hatten sie aber noch bei sich behalten, weil die zu jung war.
00:22:51: Und sie wurden dann, sind nach Belgien geflohen, wurden in Belgien gefasst und nach Auschwitz deportiert.
00:22:58: Die Frau, da sie über sechzig war, wer über sechzig war, wurde an der Rampe sofort ins Gas geschickt.
00:23:07: Die wurde also sofort umgebracht und die Tochter kam nach Birkenau und er hat irgendwie einfach die Hand gehoben und gesagt, ich bin Arzt.
00:23:17: Und dann wurde er als Funktionshäftling, wurde ihm nahegelegt, sich an den Operationen zu beteiligen, weil es sonst seiner Tochter schlecht gehen würde.
00:23:28: Er hat also um sich und um das Leben seiner Tochter zu retten angefangen bei diesen Zwangssterealisationen der jüdischen Frauen mitzumachen und hat gleichzeitig versucht so zu operieren unter einem Vorwand immer einen Eierstock drin zu lassen, damit die Frauen noch schwanger werden konnten, was von denen die überlebt haben auch manche wurden.
00:23:51: Einer hat sogar ihren Sohn dann nach ihm benannt, aber andere haben auch gesagt, Er war ein Kollaborateur.
00:23:59: Also es ist das typische Dilemma eines Juden, der in dieser Situation kam, typisch in dieser Zeit, wo man sagt, also in dem Regime, also wenn man nicht bereit war sofort zu sterben, dann war es sehr schwer sauber zu bleiben.
00:24:21: Stellen wir vor eine herausfordernde Rolle.
00:24:24: Wie wird dein Film heißen?
00:24:26: So wie dieser Ort hieß, Blockzehen.
00:24:29: Blockzehen war dieser Block, in dem eben nur jüdische Frauen waren, die operiert werden sollten.
00:24:38: Vielen Dank für dieses Gespräch über Sputnik.
00:24:42: Sie können sich das in Buchhandlungen erwerben.
00:24:44: Chris, wenn Sie eins dabei haben, wird Christian Berkel sicher gerne signieren.
00:24:48: Vielen Dank, dass du da warst hier bei uns.
00:24:50: Vielen Dank, Jodja.
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