Beim Fahrradfahren zeigt sich die Verdorbenheit der Menschen
Shownotes
In „Hoplopoiia“, dem neuen Roman von Jochen Schmidt, soll sich ein Mann mittleren Alters eine „Ressourcenkiste“ anlegen, in der er in Momenten des Verzagens kramen kann. Darin neben Gottfried Keller, Gott (mit Fragezeichen), den Kindern und Humor – die F.A.Z. Das ist natürlich nicht der Grund, jedenfalls nicht der einzige Grund, weshalb Jan Wiele den Schriftsteller auf der F.A.Z.-Bühne auf der Frankfurter Buchmesse getroffen hat. In dieser Folge des Bücher-Podcasts hören sie das Gespräch.
Jochen Schmidts neuer Roman „Hoplopoiia“ auf der Website von C.H. Beck
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00:00:08: In Hoplopoiya, dem neuen Roman von Jochen Schmidt, soll sich ein Mann mittleren Alters eine Ressourcenkiste anlegen, in der er Momenten des Verzagens kramen kann.
00:00:20: Darin, neben Gottfried Keller, Gott mit Fragezeichen, den Kindern und Humor, die FAZ.
00:00:27: Das ist natürlich nicht der Grund, jedenfalls nicht der einzige Grund, weshalb Jan Wiele den Schriftsteller auf der FAZ-Bühne auf der Frankfurter Buchmesse getroffen hat.
00:00:35: In dieser Folge des Bücher-Podcasts hören Sie das Gespräch.
00:00:42: Guten Morgen, die Kaffee-Schlange steht, aber wir fangen jetzt trotzdem an und Sie dürfen sich ja auch umdrehen und Jochen Schmidt mal anschauen, wenn Sie den Kaffee dann mit haben.
00:00:50: Also ich begrüße ganz herzlich Jochen Schmidt und möchte mit einer kleinen Erinnerung anfangen.
00:00:56: Auf diesen Autor bin ich selbst das erste Mal gestoßen, ungefähr im Jahr zweitausend.
00:01:00: Da war ich in einer studentischen Jury in Heidelberg und das Buch, was wir gelesen haben, hieß Triumphgemüse.
00:01:07: Triumphgemüse.
00:01:08: Ich glaube, es war auch Ihr erstes Buch.
00:01:09: dann bei CH Beck.
00:01:11: Und Sie sind noch heute bei C.H.
00:01:12: Beck.
00:01:13: Das ist doch in diesen Zeiten ein super, super Message, oder?
00:01:16: Ja, also ich mag nicht so gern Veränderungen.
00:01:22: Jetzt machen Sie bitte nicht jede Antwort so kurz wie diese
00:01:24: sonst.
00:01:24: Ach so, ich hätte das mehr sagen sollen.
00:01:26: Ich habe ja die Tenenz zu viel zu reden, deshalb ... Nein, ich bin immer noch bei C.H.
00:01:31: Beck und der Vertragfallag hat ja auch viele Vorteile, die makulieren zum Beispiel ihre Bücher nicht.
00:01:36: Betrampfgemüse gibt es immer noch zu kaufen.
00:01:39: Das ist gar nicht so normal, habe ich inzwischen bei anderen Verlagen gelernt.
00:01:44: Also mich freut es und es ist, um ein bisschen inhaltlich zu werden, auch das dritte Buch in einer Reihe, wenn man das so sagen kann, oder?
00:01:53: Das ist nach Zuckersand und Floks der dritte Band, in dem das um denselben Erzähler Richard Sparker geht und seine Familie.
00:02:02: Ja, ich habe mal mir als erste Frage überlegt.
00:02:07: Könnte man es wohl sagen, dass das ein Roman über Arztbesuche ist?
00:02:13: Ja, Arztbesuche spielt eine große Rolle.
00:02:14: Ich habe gar nicht durchgezählt, aber es gibt ungefähr fünf Therapeuten oder vielleicht sogar sechs.
00:02:19: Und das sind ja auch immer tolle Gelegenheiten zu reden.
00:02:22: Und ja, also er wünscht sich irgendwann, listet er so auf, was er für ein Arztprogramm hat von Montag bis Freitag und geht dann auch noch zum Urologen, weil er gerne noch mehr Ärzte hätte.
00:02:34: Das ist dann aber sehr schmerzhaft, aber das erzähle ich jetzt nicht, weil es auch etwas Intime ist für den Helden.
00:02:41: Ich weiß nicht, ob ihm das so recht ist, wenn ich das hier ausplaudere.
00:02:46: Wir gehen erst mal drüber weg, vielleicht kommen wir noch drauf zurück.
00:02:49: Der Titel Hoplopäuer, ist das auch eine Krankheit?
00:02:53: Nein, das ist ein Gesang aus der Ilias, der Gesang, in dem es um die Herstellung der Waffen von Achill geht, also vor allen Dingen von seinem Schild.
00:03:02: Und das Wort ist so schön, dass ich seit vielen Jahren vor hatte, das unbedingt für ein Buch zu benutzen und immer Angst hatte, dass mir wer zuvorkommt, ist aber bis jetzt nicht.
00:03:13: Soll ich noch was dazu sagen?
00:03:17: Nein, ich habe meine größte Angst war, dass ich praktisch in jedem Gespräch als erstes gefragt werde, was der Titel bedeutet.
00:03:22: Und dann habe ich mir vorgenommen, ich werde es einfach nicht beantworten.
00:03:25: Jetzt habe ich es aber zum letzten Mal beantwortet.
00:03:27: Ich habe ja immerhin bis zur dritten Frage gewartet.
00:03:29: Ah, okay.
00:03:30: Ich weiß, die FAZ spielt ja Bildung auch manchmal eine Rolle in der Zeit.
00:03:33: Und deswegen, ich hoffe, sie kommen auch darauf zu sprechen, dass es ein ganzes Kapitel über die FAZ gibt.
00:03:39: Das hat bis jetzt mich noch niemand... Jetzt
00:03:42: nehmen Sie ja schon alles vorweg.
00:03:45: Aber das habe ich mir notiert unter Bonus-Fragen.
00:03:48: Ich mache mir auf meinem Zettel immer so ernste Fragen, witzige Fragen, Bonus-Fragen.
00:03:52: Weil ich kann ja auch nicht mit der Eigenwerbung anfangen hier.
00:03:55: Das würde ein bisschen komisch aussehen, glaube ich.
00:03:57: Naja,
00:03:57: ich weiß, es ist schon Werbung, aber er hatte auch diesen Splin, das Stilfehler sammelt.
00:04:03: und eben auch in seiner Lieblingszeitung ab und zu einfindet und möchte sich da gerne als Kokorektor bewerben.
00:04:10: Aber mit dem Hintergrund, mit dem Ziel, dass er die Zeitung, die er so lieb besser macht, damit die weiter überlebt.
00:04:16: Ja, ich habe immer gewartet, aber bis jetzt ist noch niemand auf mich zugekommen.
00:04:21: Also auch um über das Thema Druckfehler hinweg zu gehen, schiebe ich das ans Ende.
00:04:27: Ich bleibe jetzt noch einmal bei dieser Wahl der Waffen und bei Achill.
00:04:30: und jetzt werde ich wirklich ernst, denn es geht ja auch sehr viel um eine Paarbeziehung in diesem Roman und auch in den beiden Vorherrigen schon mit Richard Starker.
00:04:39: Und da dachte ich so ein bisschen an Lieder von Joni Mitchell vielleicht, both sides now.
00:04:44: Es geht um diese Kämpfe, die dann beide Seiten irgendwann so abnutzen, dass man ... zusammen noch lebt.
00:04:51: Die Lebenssituation ist da so, dass die getrennt sind, aber trotzdem bei ihren Kindern in einer Wohnung
00:04:56: zusammenbleiben.
00:04:56: Sie haben eine sogenannte In-Haus-Lösung für die Trennung, was in Berlin den Hintergrund hat, dass man sich das nicht leisten kann, auseinander zu ziehen.
00:05:05: Das ist so ähnlich wie zu Ostzeiten, wo man hat keine Wohnung gefunden hat und dann die geschiedenen Paare oft noch jahrelang zusammengelebt haben oder manchmal dann auch wieder ein zweites Mal geheiratet haben, einfach weil man keine Wohnung fand und das ist ja jetzt auch wieder so.
00:05:19: Deswegen bleiben wir zusammen wohnen und über diese drei Bücher hinweg ist es eigentlich eine große Liebesgeschichte.
00:05:24: Im Zuckersand denkt er sich einen fiktiven Heiratsantrag aus, weil er immer Angst hat, dass sie ablehnen wird.
00:05:32: So eine Rieseninszenierung mit so einer Straßenparade, also ganz fand ich sehr schön.
00:05:39: Und jetzt im dritten Band sind sie halt getrennt so langsam.
00:05:42: Und wer weiß, vielleicht gibt's da noch einen vierten, wo sie wieder zusammenkommen, keine Ahnung.
00:05:46: Aber so viel Bücher braucht man schon, um das alles zu erzählen.
00:05:51: Aber es ist traurig.
00:05:52: Ich weiß, Sie haben ja am Anfang, das war, glaube ich, der Hintergrund der Frage, dass es auch Ernst und Traurig ist, die ganze Geschichte.
00:06:00: Sie sagen, es ist traurig und lachen dabei.
00:06:03: Das ist vielleicht auch typisch.
00:06:06: Ja, weil mir tut es immer so leid, die Leser zu nerven.
00:06:09: Ich muss sie dann auch immer gleich wieder erlösen.
00:06:13: Wenn man es liest, ist es eigentlich nicht traurig.
00:06:14: Das stimmt.
00:06:15: Wenn ich an so eine Geschichte denke, ist sie natürlich traurig.
00:06:18: Also wir trennt sich schon gerne.
00:06:21: Aber es ist noch nicht das Hauptthema.
00:06:26: Er ist ja ein komischer Mensch.
00:06:28: Eigentlich erforscht er ja die Gründe dafür, warum in seinem Leben alles schief geht.
00:06:32: Und dafür braucht man halt mehrere Therapeuten und er gelangt dort zu seiner Schulzeit in der DDR.
00:06:42: Ich wollte es aber auch nicht die nächste Frage vorbegeben.
00:06:45: Nee, ich bleibe nur noch einmal so ein bisschen bei diesem Gegensatz von traurig, lustig.
00:06:51: Mir fällt auf, wenn ich auch so ein bisschen auf die Gegenwartsliteratur auf den Buchmarkt schaue, dass es Depressionsbücher mit humoristischem Einschlag doch besonders stark bei Männern gibt, glaube ich.
00:07:01: Ich denke an Heinz Strunk zum Beispiel, Thomas Melle auf der Shortlist des Buchpreises, ein Selbstmordbuch.
00:07:09: Und irgendwo auf dieser Skala würde ich zwischen Strunk und Melle, da würde ich Sie auch einordnen.
00:07:13: Und haben Sie sich vermutlich selbst überhaupt nicht, weil Sie über die anderen nicht nachdenken?
00:07:18: Doch, aber ja, habe ich jetzt in dem Fall nicht gelesen, aber ich kann es schon irgendwie verstehen.
00:07:26: Warum das jetzt?
00:07:27: Männer sind vorwiegend, das ist eine Frage, die ich seit vormundzwanzig Jahren nicht beantworten kann.
00:07:31: Warum drängen sich Männer auf die Bühne und machen Witze?
00:07:35: Das weiß ich nicht.
00:07:38: Also inzwischen machen sie auch Frauen, aber ich hatte ja früher mal so eine Vorleseshow, wo uns immer, wir waren sechs Männer, dann wurde uns immer vorgeworfen, warum seid ihr nur Männer?
00:07:47: Weil keine Frauen mitmachen, ich konnte es nicht erklären.
00:07:52: Also um da jetzt noch tiefer zu gehen, warum Männer dieses Ventil nötig haben, Humor zu benutzen, um das Gresslichste zu erzielen.
00:08:01: Keine Ahnung.
00:08:04: Ich wollte auch mehr darauf wirklich auf diesen Zusammenhang zwischen Depression und Humor.
00:08:07: Also wenn ich zum Beispiel an die frühen, wo die Ellenfilme zurückdecke, da sehe ich gewisse Zusammenhänge.
00:08:13: Naja, er kommt ja darauf, dass er vielleicht so ein bisschen zum Spektrum gehört.
00:08:17: Also Autismus haben ja zutage fast alle.
00:08:20: Das Spektrum geht ja sehr weit und seine Verhaltensweisen, seine Neurosen, seine Zwänge, die sind auch so ein bisschen in die Richtung und die haben immer auch gleichzeitig was Komisches.
00:08:30: Arzt steht und vor ihm muss einer seine Telefonnummer ansagen und er rüttelt sich dann im Ohr, weil er will sich die nicht merken, weil er weiß, dass er die wahrscheinlich nie vergessen wird, weil er solche Dinge sich merkt und dann wird er immer die Angst, den Zwang verspüren, denjenigen anzurufen.
00:08:47: Um das zu verhindern rüttelt er sich im Ohr, das ist ja... sehr komisch, aber in Wirklichkeit ist es sehr schrecklich.
00:08:54: Dieser Held ist einfach dazu verdammt, Dinge wahrzunehmen, die von den anderen verschont bleiben.
00:09:04: Ein Großstadtneurotiker auf jeden Fall auch, wenn ich an die Fahrradfahr-Situation in Berlin zum Beispiel denke, die geschildert werden.
00:09:10: Ja, dass man eigentlich nur einmal mit dem Fahrrad raus muss, um mindestens ein deprimierendes Erlebnis zu sammeln, worüber man den ganzen Tag wieder nachdenken kann, weil sich daran ja die Verdorbenheit der Menschheit zeigt.
00:09:22: Und wenn man immer so tief empfindet und so weit geht in seinen Schlüssen, dann hat man natürlich kein schönes Leben.
00:09:30: Gerade in der Stadt begegnet man ja öfter mal Menschen.
00:09:35: Ja, manchmal schreit man sie auf dem Fahrrad auch an, als wenn die Autofahrer sind, aber danach geht es einem nicht unbedingt besser, sondern es bleibt noch haften dann.
00:09:42: Nein, weil man ihren Ärger in sein Herz aufnimmt, wie die Ex-Frau von dem Helden sagen würde.
00:09:49: Also, die hat das ja alles schon besser durchschaut als er.
00:09:52: Er kann es halt noch nicht umsetzen.
00:09:55: Ja, immer gewaltfrei reagieren, sagen, oh, das hat sie jetzt geärgert, das verstehe ich.
00:10:03: Sie ist so eine Adepte in der gewaltfreien Kommunikation.
00:10:07: Das ist ein sehr gutes Stichwort, um noch darauf zu kommen.
00:10:10: Der Roman hat wirklich sehr unterschiedliche Erzählpassagen.
00:10:13: Es geht aber zum Beispiel um die Schule der Kinder.
00:10:16: Die wird auch auf eine stark satirische Weise dargestellt.
00:10:20: Die hat eben diese extrem antiautoritären Züge.
00:10:24: Ja, die Schule will die Demokraten herstellen, indem die abstimmen dürfen.
00:10:32: Die sogenannte Schulfreischule ist das.
00:10:36: Das ist sozusagen so ein Gegensatz zu seiner Schule.
00:10:38: Er war ja in der DDR an so einer mathematischen Spezialschule, wo großer Leistungsdruck herrschte und er ist immer so hin und her gerissen in seiner Bewertung.
00:10:49: Einerseits hat er drunter gelitten, andererseits sieht er, wie die Schule jetzt ist und wie die praktisch gar nichts lernen und ist so hin und her gerissen, ob er seine Kinder davor schützen soll oder ob das ein großes Glück ist, dass die da sind.
00:11:04: Es wird auch offen gelassen.
00:11:07: Ich will mich da nicht in Bildungsdebatten einmischen.
00:11:10: Ich merke nur, dass es sehr schnell kippt.
00:11:12: Es wird dann immer gleich verlangt, dass man wieder einen Karzer hat und einen Brügelstock, weil der Pisa-Test so schlecht ausfiel.
00:11:21: Das kippt ja sehr schnell in der öffentlichen Meinung.
00:11:23: Bei ihm kippt es auch innerhalb von Sekunden.
00:11:29: Und es wird zum Beispiel, wenn eine Frage gestellt wird, die an die Runde zurückgegeben, ob man diese Diskussion jetzt überhaupt öffnen möchte oder ob man abstimmen möchte darüber, ob diese Diskussion geführt werden soll.
00:11:38: Genau.
00:11:40: Das wirkt von außen vielleicht komisch, aber eigentlich ist es ja toll.
00:11:44: Also wenn man es mit seiner Schulzeit vergleicht, wo sie nie irgendwas gefragt wurden, bzw.
00:11:48: ihnen wurde alles befohlen, dann ist es ja eigentlich ein Fortschritt.
00:11:59: Das schneide ich mal kurz eine Szene rein.
00:12:01: Sie sagten, es geht auch um Erinnerungen.
00:12:04: Und es ist einfach ein Flashback jetzt gerade.
00:12:07: Wie immer bei solchen Anlässen stellte sich die leidige Frage, ob man seinen FDJ-Hemd einpackte und es auf dem Kloanzug oder ob man darauf verzichtete und dadurch negativ auffiel.
00:12:17: Man konnte auch, um nicht klein beizugeben, trotz der Hitze im Polo erscheinen und nur den blauen Kragen hervorgucken lassen.
00:12:24: Manche hatten sich zu diesem Zweck den Kragen eines FDJ-Hems abgetrennt, den sie immer dabei haben konnten.
00:12:31: Ja, das stimmt.
00:12:32: Und das Schlimme ist, dass dieses kleine Symbol, FJ-Temps oder nicht, ja immer schon alles bedeutete in einem autoritären Staat.
00:12:41: Also es wurden immer fort so Kothaus von einem erwartet, wenn man das nicht gemacht hat oder auch nur so ein kleines bisschen, dann hat man halt nur die Kragen rausgucken lassen.
00:12:48: Das hieß dann aber schon Er ist eigentlich mit einem Fuß im Westen.
00:12:52: Und deshalb ist es so schwer, in so einem System sich zu positionieren, weil es bedeutet immer gleich alles.
00:12:59: Es gab ja diesen Spruch, wer nicht für uns ist, ist es gegen uns.
00:13:02: Und so war es halt.
00:13:04: Sag mir, wo du stehst, oder?
00:13:05: Genau, sag mir, wo du stehst.
00:13:07: Ein furchtbarer Ohrwurm, den ich immer noch manchmal im Kopf habe, weil wir das ja im Musikunterricht singen mussten.
00:13:14: Es ist aber eigentlich ein großartiger Song, wenn man es mal... Es war unangenehm das Vorsingen zu müssen, aber es ist ja auch was, was heute, wenn man so Talkshows guckt, geht es ja auch oft darum, sagt mir, wo du stehst.
00:13:27: Also erst mal alles abräumen, Ukraine kriegt, weiß ich, fast Klimawandel, und dann ist klar, der ist zu rechnungsfähig, mit dem kann man diskutieren.
00:13:37: Das ist so ein bisschen das Gefühl manchmal.
00:13:45: Ich habe das immer auf den Klo angezogen in der Schule.
00:13:49: Und ich habe alle sehr verachtet, die das schon in der S-Bahn freigetragen haben.
00:13:55: weil ich einfach nicht wollte, ich wollte nicht was machen müssen.
00:13:58: Das geht aber weiter.
00:14:01: Also als ich dann im Literaturbetrieb landete, musste ich dann hin und wieder ein Sacco oder sowas tragen, ein Jackett.
00:14:07: Und da fühle ich mich genau wie mit dem FJ-Tim.
00:14:10: Warum muss ich das denn jetzt so?
00:14:12: sich mal vor, ich würde einen richtigen Beruf haben und müsste immer in so Business Attire an tanzen, da hätte ich richtig Probleme mit.
00:14:20: Aber das akzeptiert man heutzutage, ist es selbstverständlich, finde ich immer komisch, ich habe mich doch immer dagegen gewährt.
00:14:27: meine Kleidung irgendwie anpassen zu müssen.
00:14:29: Kontakariert jetzt durch eine Szene aus dem Roman ist natürlich nur der Ich erzähle, aber da gibt es eine Szene im Wartezimmer, glaube ich, wo er sagt, er fühlt sich in seinem Parker oder wie ein Obdachloser.
00:14:41: Ja, klar, das ist so eine High-End-Urologie, Praxis, wo er den Urin seines Vaters abgeben muss.
00:14:48: Seine Mutter gibt ihn immer mit, weil er komisch riecht und er denkt sich dann, also für ihn ist es immer so ein bitbittersüßer Moment, weil er Ja, durch die Trennung davon ausgehen kann, dass später mal niemand an seinem Urin riechen wird, um festzustellen, ob man den mal zum Urlohn bringen müsste.
00:15:03: Und er macht es halt für seine Mutter.
00:15:05: Und das ist so mit einem künstlichen Kamin, weiß ich was.
00:15:08: Und er fühlt sich dann natürlich underdressed.
00:15:12: worüber wir hier alles reden.
00:15:15: Es geht mir so ein bisschen so wie mit dem frühen Helge Schneider.
00:15:18: Ich versuche Ihnen eine ernste Frage nach der anderen zu stellen, aber ich kriege nur eine Bühnenperson zu sehen.
00:15:23: Oh, Entschuldigung.
00:15:25: Ich verstehe, ich bin im richtigen Leben auch so.
00:15:28: Aber da habe ich dann halt kein Publikum.
00:15:34: Ja, dann, ich versuch's noch einmal mit einem, so wie ich das mit Heinz Strunk und den Vergleichen gemacht habe.
00:15:39: Es gibt jetzt eine jüngere Generation, die auch über, die vielleicht zum Teil noch in den späten letzten Jahren der DDR geboren sind, zum Beispiel jetzt auf dieser Messe ist Laura Labes unterwegs.
00:15:50: Und die hat ein Buch geschrieben, wo nochmal sozusagen die kapitalistische Zuckerbombe beschrieben wird.
00:15:57: Also wie man auch gerade als Kind sozusagen wie plötzlich das System sich änderte und plötzlich musste man wieder von Rolf Zuckowski hören und so.
00:16:05: Das ist relativ hart
00:16:07: schemenhaft
00:16:08: sozusagen.
00:16:10: Aber auch mit einem sehr starken kritischen Impetus und bei ihnen habe ich das Gefühl gibt es auch solche Elemente aber sie sind immer satirisch aufgelöst oder?
00:16:19: Oh, also da könnte ich jetzt stundenlang, also erst mal meine Kinder mussten immer gerne schöne hören, weil der natürlich viel besser ist, Rolf zu Kowski und im Kindergarten, naja, also je nachdem, wo man wohnt.
00:16:31: Manchmal sind die Eltern passend nicht zu den Erzieren, manchmal ist es andersrum.
00:16:36: Ja, diese junge Generation hat natürlich überhaupt keine Ahnung von der DDR, die sind ja alle viel zu jung.
00:16:41: und die dritte Generation.
00:16:44: Man denkt dann immer, ich bin auch noch da und jetzt gibt es schon zwei andere.
00:16:47: die jetzt dazu befragt werden.
00:16:48: Aber eigentlich ist es ja toll, dass sie immer noch zu diesem Thema arbeiten.
00:16:52: Zuckerbombe, ich war leider schon zu alt.
00:16:55: Für mich waren die Maßregel und so.
00:16:58: Das war für die Wände.
00:16:59: Leider kam die dann ein paar Jahre zu spät.
00:17:01: Sonst, ich habe ja immer diesen Traum gehabt, in einem West-Süßigkellen-Laden zu sein und alles einpacken zu dürfen.
00:17:07: Und plötzlich wacht man auf und muss wieder Schlager Süßtafel essen.
00:17:13: Ich habe keine Geschichte von einem Kind, was angeblich... Also kurz nach dem Mauerfall vom Schaufensterstand im Westen und dann umgekippt ist vor Überforderung.
00:17:24: Also es war schon ein krasser Effekt, den man auch nicht nochmal im Leben so erleben wird wahrscheinlich.
00:17:29: Aber meint ihr, das ist jetzt negativ mit der Zuckerbombe?
00:17:33: Es
00:17:34: ist ja ein Roman, aber es wird, wie gesagt, relativ drastisch als Lebensveränder dargestellt, was es ja auch war.
00:17:41: Ja, aber...
00:17:42: Es hat dort keiner lasatierische oder humoristische Züge.
00:17:45: Ach,
00:17:45: okay.
00:17:46: Also ich bin ja Prust Jana und dann bei Prust lernt man, dass die Empfindungen manchmal erst ein Jahr später kommen sozusagen, als seine Großmutter stirbt, kann er noch gar nicht richtig trauern.
00:17:56: Mir ging es eher so, das war viel zu viel.
00:17:58: in dem Moment, um da irgendwie die Tragweite zu erfassen oder wirklich geschockt zu sein.
00:18:04: Das wurde erstmal etwas psychisch weggeblendet, sozusagen.
00:18:10: Das wirkt immer noch nach bis jetzt.
00:18:12: Aber dieses große Schockerlebnis, das ist mir viel zu filmisch, so hollywoodmäßig.
00:18:17: In Wirklichkeit war ich gar nicht oft in West-Berlin nach dem Mauerfall, weil mich das überfordert hat.
00:18:23: Ich habe da meine Zeit gebraucht.
00:18:27: klingt gut, aber so funktioniert der Mensch nicht.
00:18:32: Das ist bei jedem anders eigentlich.
00:18:34: Jetzt
00:18:37: haben Sie gerade noch was sehr Interessantes eben gesagt.
00:18:39: Die sind viel zu jung, die können, die haben keine Ahnung von der DDR, die können darüber schreiben.
00:18:42: Das stößt, ja, aber es stößt eine Debatte noch wieder an, die vor ungefähr drei Jahren lief, als ich auch Ingo Schulze äußerte, über Charlotte Gnäus und Roman Gittersee.
00:18:54: Schon wieder Versuch einer ernsthaften Frage.
00:18:57: Was glauben Sie denn zu der Frage, ob auch Leute, die gar nicht dort sozialisiert wurden, ob Westys auch fiktionale Texte über die DDR schreiben können?
00:19:06: Ich würde eigentlich selber gerne mal ein Roman über die alte BRD schreiben, um das mal umzukehren.
00:19:12: Und das würde ich mir natürlich sofort rausnehmen, das Recht, also warum soll das nicht andersrum auch gelten.
00:19:17: In der FAZ ging es ja um die Leckerfrage, also ob das Wort Lecker schön zu DDR-Zeiten benutzt wurde.
00:19:24: Und ich kämpfe seit dreißig Jahren gegen dieses hässliche Wort, was wahrscheinlich tatsächlich schon früher benutzt wurde.
00:19:30: Aber in dem Fall hatte Schulz schon recht, aber letztlich ist es ja egal.
00:19:35: Das ging zum Beispiel, glaube ich, auch darum, ob man in den Siebzigerjahren in der Elbe schwimmen konnte.
00:19:39: Ja, keine Ahnung.
00:19:40: Ich hätte es nicht gemacht, aber wir waren ja auch wieder hart gesotten.
00:19:43: Also Flüsse in der DDR waren ja praktisch wie so Schaumbäder, weil da immer so ein gelber Schaum drauf war.
00:19:48: Ähm ich äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh äh ä. die wendet hapeziert und ihn eine dreikige Milchstift in die Hand gedrückt und alles war so wie und der Witz ist.
00:20:24: in der DDR war ja viel da gab es ganz viel Ostausstattung aber dazwischen waren ein paar Wests auch.
00:20:28: es war nicht wie sich das ein Set Designer vorstellt und da sind wir natürlich überkritisch.
00:20:33: das geht ja sicher genauso mit Film über die frühere BRD.
00:20:37: das stimmt gar nicht das ist alles falsch und das ist egal.
00:20:42: also da muss man nicht so streng sein.
00:20:45: Wie gesagt, und eigentlich wird es Zeit, dass es mal anders rum ist, dass wir Ostdeutsche über den alten Westen schreiben.
00:20:52: Vielleicht mache ich das irgendwann, denn ich habe ja danach auch eine gewisse Sehnsucht nach dem Westen, wie er mal war.
00:21:00: Das war eine wunderschöne Antwort.
00:21:01: Wir kriegen hier schon lauter Signale, aber jetzt kann ich mir ja nicht nehmen lassen, zum Schluss noch einmal auf diese FAZ-Geschichte zurückzukommen.
00:21:07: Es gibt nämlich, ich habe mal so eine Stichwortsuche in dem Dokument gemacht, da gibt es mindestens sieben oder acht Einträge über das FAZ-Abonnement und so.
00:21:14: Also da scheint ein Lebensthema hinterzustecken.
00:21:17: Ja, er liebt die Zeitung dafür, dass in der tatsächlich alle paar Tage was enttäuscht wird.
00:21:21: hand es steht und das schreibt er sich dann immer raus.
00:21:25: Zum Beispiel, dass der Hengst, dass es einen juristischen Streit darüber gibt, ob beim Verkauf des Hengs des Tortillas seinen Samen mit gemeint war oder nicht, weil den gibt es nämlich noch, ich glaube der Hengst ist inzwischen tot, arbeitet nicht mehr und sowas steht in der FAZ, man denkt Wahnsinn und er schreibt sich diese Sachen halt raus.
00:21:45: und andererseits schreibt er sich die Stilfehler raus.
00:21:48: und Also ernst gesprochen, durch das Lesen der FAZ fühlt er sich als gesellschaftliches Wesen, was irgendwie an diesen gesellschaftlichen Diskurs teilnimmt und mitgemeint ist, mit diesem Text, der da jeden Tag gedruckt wird für ihn.
00:22:02: Und das ist für ihn sowas, hat sowas wahnsinnig Beruhigendes.
00:22:05: Deshalb kämpft er dafür, dass es die Zeitung weiter gibt, indem er die Stilfehler verbessert.
00:22:10: Super, also Bonusfrage und das war eine Bonusantwort hier.
00:22:13: Und das war ein ganz tolles Schlusswort.
00:22:15: Herzlichen Dank für das Gespräch.
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