Er kann die Welt nicht von sich fernhalten: Nelio Biedermann und sein Roman „Lázár“
Shownotes
Früh im Jahr 1900 – „der Schnee des verendetet Jahrhunderts“ lag noch am Rand des dunklen Waldes – wird auf einem Schloss im Süden Ungarns ein Kind geboren, ein Glaskind, wie es heißt: Durch seine Haut kann man die Organe sehen. „Er kann die Welt nicht von sich fernhalten“, sagt Nelio Biedermann über seine Figur Lajos, dessen Familie er in „Lázár“, seinem zweiten Roman, durch die Geschichte dieses Adelsgeschlechts, die seines Landes und die Europas folgt, bis zur Flucht in die Schweiz nach der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands 1956.
Am 25. September war Nelio Biedermann mit seinem Roman „Lázár“ im Literaturhaus Frankfurt zu Gast, es moderierte Melanie Mühl.
Nelio Biedermanns Roman „Lázár“ auf der Website es Rowohlt Berlin Verlags
„Der Wald von gestern“: Timo Posselt über „Lázár“ von Nelio Biedermann
Kommende Veranstaltungen im Literaturhaus Frankfurt
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Transkript anzeigen
00:00:08: Liebe Hörerinnen, liebe Hörer, herzlich willkommen zu einer Sonderfolge unseres Bücher-Podcasts aus dem Literaturhaus Frankfurt.
00:00:16: Dort war am fünfundzwanzigsten September Nelio Biedermann mit seinem Roman Lazare zu Gast.
00:00:22: Es moderierte Melanie Möhl.
00:00:29: Ein herzliches Willkommen auch von mir, liebes Publikum.
00:00:33: Lieber Nelio Biedermann, ich freue mich, dass ich sie moderieren darf.
00:00:38: Ich finde ihren Roman großartig.
00:00:41: Wovon er handelt, wissen die meisten hier wahrscheinlich, wahrscheinlich wissen es alle.
00:00:45: Ich sage es trotzdem noch mal.
00:00:46: Es geht um eine ungarische Adelsfamilie, die von Lazarus.
00:00:51: Sie erzählen eine große Familiengeschichte über mehrere Generationen hinweg.
00:00:56: Es beginnt mit dem Niedergang der Habsburger Monarchie und geht ein bisschen die fünftiger Jahre nach Zürich.
00:01:02: Und was mich als erstes interessiert, wie viel Ihrer Familiengeschichte steckt in Lazar?
00:01:12: Ich finde die Frage immer schwierig, weil sich das gar nicht mehr so trennen lässt.
00:01:17: Und das war auch mein Anspruch.
00:01:19: Ich wollte, dass das so ineinander übergeht.
00:01:23: Was ich aber sagen kann, ist, dass die Familienfiguren, dass das wirklich Figuren sind.
00:01:30: Das ist nicht meine Familie, meine Eltern erkennen sich da.
00:01:34: Wahrscheinlich ein bisschen wieder, aber eigentlich sollten sie sich nicht wiedererkennen.
00:01:41: Genau, das war mir wichtig.
00:01:44: Und die Stationen, die diese Figuren aber in diesem Jahrhundert durchlaufen, die sind schon sehr nah an der historischen Realität.
00:01:53: Also meine Familie hat auch dieses atliche Leben erlebt und dann die Enteignung und die Zwangsarbeit und die Flucht in die Schweiz.
00:02:02: Diese Ereignisse sind... ziemlich direkt übernommen.
00:02:07: Inwiefern hat der Adelige Hintergrund bei ihrem aufwachsende Rolle gespielt?
00:02:11: Ich habe in Interviews mit Ihnen gelesen, dass Ihre Großmutter da auch eine sehr wichtige Inspirationsquelle gewesen ist für Sie über die Jahre.
00:02:20: Also haben Sie schon in frühen Jahren erkannt, ich habe eine besonders spannende Familiengeschichte oder eine, die ich mal
00:02:29: in Buchform
00:02:30: gießen kann?
00:02:31: Ja, das schon.
00:02:34: Gerade in der Schweiz ist das nochmal irgendwie besonderer, weil da die Familiengeschichten oft ziemlich eintönig sind.
00:02:42: Also jetzt im Vergleich zu Deutschland ist das wirklich so.
00:02:47: Da gibt es dann so Bewegungen von Dorf zu Dorf oder so.
00:02:52: Und darum, ich hatte meine Mutter als Deutsche und darum hatte ich so das, ja für mich das Glück eigentlich, so zwei sehr spannende Geschichten zu haben.
00:03:01: Und ich wusste dann schon sehr früh, dass ich irgendwann mal was damit machen möchte.
00:03:06: Und ich hatte aber noch kein Medium dafür.
00:03:10: Und als ich dann das Schreiben für mich entdeckt habe, dann war es sehr früh klar, dass ich irgendwann
00:03:15: ... Wenn Sie sagen, früh, dann ... Das ist bei Ihnen jetzt alles noch sehr früh.
00:03:21: Dann so mit sechzehn oder fünfzehn, wenn die anderen zum ersten Mal rauchen.
00:03:26: Oder wahrscheinlich wieder aufgehört haben und wieder anfangen.
00:03:29: Wie muss man sich das vorstellen?
00:03:31: Ja.
00:03:33: Mit sechzehn habe ich zum ersten Mal an einem Schreibwettbewerb mitgemacht.
00:03:37: Und das war eigentlich eher zufällig.
00:03:40: Das war während der Pandemie.
00:03:42: Und ich war da gerade in Quarantäne.
00:03:43: Und dann wurde dieser Wettbewerb ausgeschrieben und der hatte das Thema die Enden der Welt.
00:03:51: Und das sprach mich sofort an.
00:03:54: Und ich habe dann da mitgemacht und da dann zum ersten Mal irgendwie realisiert, dass ich ... schreiben möchte.
00:04:01: Ich wusste das vorher nicht, dass mir das liegt oder dass ich das gerne mache.
00:04:07: Und dann eigentlich ziemlich kurz darauf habe ich mich auch zum ersten Mal an die Familiengeschichte gewagt und dann aber immer wieder das verworfen.
00:04:18: Und welche Rolle hat Ihre Großmutter dabei gespielt?
00:04:25: In vielerlei Hinsichten ist es sehr wichtig.
00:04:28: Also einerseits war sie die Übermittlerin dieser Geschichten.
00:04:35: Sie hat uns die immer erzählt, weil sie die auch in erster Hand erlebt hat.
00:04:42: Für mich war das damals unglaublich spannend, weil das so fast Abenteuergeschichten waren, die Fluchtgeschichten.
00:04:51: Natürlich hat sie die für uns Kinder auch so verpackt und so erzählt.
00:04:59: Das Traumatische wurde natürlich ausgespart.
00:05:02: Fand das einfach sehr spannend, aber haben nicht begriffen, wie schlimm das natürlich auch sein musste.
00:05:10: Gleichzeitig waren wir bei ihr auch schon immer so von der Geschichte umgeben.
00:05:15: Sie hat in eigentlich einer sehr einfachen Wohnung, so an den Ausläufern von Zürich gewohnt und hatte da aber so wie eingekapselt noch dieses alte Leben und diese Zeit.
00:05:28: die Familienporträte und das Silberbesteck und diese alten, gedrechselten Möbel.
00:05:34: Und ich fand das schon als Kind sehr seltsam, weil das in so einer Dissonanz stand.
00:05:41: Das hat überhaupt nicht dahin gepasst in diese Wohnbausiedlung.
00:05:46: Und ich hab auch nie verstanden, wie sie das alles irgendwie rüber retten kommt in dieses Leben.
00:05:51: Hat sie darüber dann mal gesprochen, oder wie ihr das gelungen ist?
00:05:56: Nee.
00:05:56: Und ich war da auch noch dann ... zu jung, um sie danach zu fragen.
00:06:01: Also ich hätte sie jetzt natürlich gefragt.
00:06:05: Ich weiß, dass mein großer Onkel, der später als sie aber auch in die Schweiz geflohen ist, dann nach Budapest zurückgekehrt ist später und dort dann auch Dinge zurückgekauft hat.
00:06:17: Also der ist dann wirklich so, ja, hat sich auch ein bisschen auf die Suche begeben, nach zum Beispiel Familien gemeldet in Antiquariaten und so, um die dann zurückgekauft.
00:06:28: Und was ich auch gelesen habe, ist, dass Sie sich ein bisschen gewundert haben über die Tischsitten oder dass Sie sozusagen so ordentlich essen mussten.
00:06:38: Was hat das damit aus sich?
00:06:42: Ich fühle mich nicht adlig.
00:06:44: Und drum fand ich das immer seltsam, dass dann mein Vater zum Beispiel doch noch so viel Wert auf solche Dinge gelegt hat.
00:06:51: Und er kam dann immer mit der Geschichte, dass sein Vater noch mit Büchern.
00:06:56: unter den Ellbogen essen musste, damit er die Hände beieinander hat.
00:07:01: Und er hat uns dann immer damit, Spaß ist halber, natürlich gedroht, dass wir das auch tun müssten, wenn wir weiter so schlimm essen.
00:07:11: Sie sind ja, bevor wir zu einer Lesestelle kommen, während der Recherche auch nach Ungang gereicht, gereist haben die ehemaligen Besitztümer besucht.
00:07:22: Was war das für Sie, für ein Gefühl dort hinzureisen?
00:07:25: Und was haben Sie vorgefunden?
00:07:28: Ich kannte die schon.
00:07:29: Darum war das nicht so, wie man sich das vielleicht vorstellt, so ein irgendwie ... Augenöffnendes Erlebnis.
00:07:38: Das war auch etwas, was ich schon seit der Kindheit kannte.
00:07:41: Das waren so seltsame Ausflüge von Budapest ganz in den Süden.
00:07:46: Und dann hat man da die Schlösser angeschaut, die zerfallen sind.
00:07:49: Und auch das war natürlich spannend, aber ... Auch da habe ich nie ganz verstanden, wieso mein großer Onkel noch so nostalgisch ist, weil ich niemals da in Südungan aufwachsen wollte.
00:08:09: Das Schloss ist toll, oder es war toll wahrscheinlich, aber die Gegend ist eher trist.
00:08:15: Und jetzt vor einigen Wochen durfte ich aber zum ersten Mal in das Schloss.
00:08:22: Das war dann für einen Beitrag mit dem Fernsehen.
00:08:25: Und davor waren wir immer nur von außen, haben wir das nur gesehen.
00:08:28: Und das war noch mal schon eine andere Erfahrung, da reinzugehen.
00:08:36: Reden Sie von dem Waldschloss oder gibt es mehrere Schlösser?
00:08:47: Es gibt mehrere Schlösser.
00:08:49: Und auch da ist das ... Das Waldschloss gibt es so nicht.
00:08:53: Das ist so ein Gemisch eigentlich aus den verschiedenen Schlössern.
00:08:58: Ich hatte immer dieses Schloss, wo ich jetzt auch rein durfte, vor Augen, aber das ist von Feldern umgeben.
00:09:04: Und dann gab es aber das Jagdschloss, das wirklich von so einem dichten Wald umgeben ist.
00:09:09: Und ja, in meinem Kopf habe ich das dann eben so zusammengefügt.
00:09:16: Und das war schon speziell, da reinzudürfen.
00:09:19: Was ist da jetzt drin?
00:09:20: Haben Sie dem Besitzer gesagt, dass Sie mit Ihren Buch verkaufen, dass Schloss zurückkaufen werden?
00:09:24: Ja, die machen auch schon den Spaß.
00:09:28: Die haben das irgendwann gekauft und jetzt zerfällt's.
00:09:30: Es
00:09:30: ist
00:09:30: wirklich nix drin.
00:09:33: Da lebt jetzt eine Familie, oder?
00:09:36: Nee, es ist wirklich
00:09:38: gar nichts drin.
00:09:39: Es sind
00:09:39: ein paar tote Hühner liegen da rum.
00:09:43: Ja, es ist sehr heruntergekommen.
00:09:46: Die Böden sind weg und man kann aber noch so Anzeichen auf dieses Leben irgendwie erkennen, die irgendwie Mosaic platten und die Tapeten differierten und so.
00:10:03: Ja, es hat schon was Trauriges, wenn man das so sieht.
00:10:06: Jetzt nicht nur, weil es meine Familie betrifft, sondern ganz allgemein irgendwie so diese einfach ... Das Vergehen der Zeit, dass man das so sehr stark sieht.
00:10:16: Das Vergehen der Zeit, das spielt ja eine große Rolle, eine Verfalls- und Verlustgeschichte, ist ihr Roman auch.
00:10:23: Und ich finde, Sie haben so einen sehr besonderen Ton, den man sehr selten trifft.
00:10:29: Da muss man schon sehr weit zurückgehen, um den wieder zu finden.
00:10:33: Und deshalb hören wir jetzt die erste Stelle.
00:10:46: Das Glaskind.
00:10:52: Am Rand des dunklen Waldes.
00:10:54: lag noch der Schnee des verendeten Jahrhunderts.
00:10:57: Als Laiosch von Lazar, das durchsichtige Kind mit den wasserblauen Augen, zum ersten Mal den Mann erblickt, den es bis über sein Tod hinaus für seinen Vater halten wird.
00:11:12: Es war der Tag der drei Könige.
00:11:14: Der Wald schluckte das letzte trüblaue Licht.
00:11:18: Das Zimmer, in dem der Junge geboren wurde, lag im Westflügel des Waldschlosses, gleich neben dem blau gestrichenen dass niemand betrat.
00:11:31: Während die Hebamme in seinem Rücken das Kind wusch, stand Shandor von Lazar am Fenster und suchte das Unt Holz ab.
00:11:38: Es war ihm, als hätte er etwas im Dickicht verschwinden sehen.
00:11:44: Er stand dort, spürte die Kälte des Glases und tastete mit seinem Blick den Waldrand entlang, ließ ihn über die Rinde der Stämme gleiten und von Baum zu Baum huschen, als sich plötzlich ein Riss in ihm auftahnt.
00:11:59: Sofort fühlte er die altbekannte Angst, die vertraute Panik in seinen Körperströmen und alles überschwemmen.
00:12:07: Da blinzelte er und er ist schlossig wieder.
00:12:11: Er leichtert Atmether auf.
00:12:14: Er war nicht wie sein Bruder, nicht wie seine Mutter.
00:12:17: Nur etwas Unruhig war er, was niemanden verwundern durfte.
00:12:21: Schließlich hatte seine Frau gerade ein Kind geboren und hat dessen transparente Haut man die kleinen Organe sehen konnte.
00:12:34: Das Abendessen nahm der Baron nur in Gesellschaft seiner sechsjährigen Tochter ein, die sich ganz und gar nicht über die Geburt ihres Bruders freute.
00:12:44: Als Ida das deutsche Kindermädchen Ilona ins Zimmer geführt hatte, hatte diese das schrumpelige, bleulich, blasse und völlig verquollene Geschäft mit ernstem Ausdruck angesehen, die braunen Augen zusammengekniffen und trocken gesagt, es ist sehr hässlich.
00:13:03: Dann war sie zu ihrem Vater geheilt, der bleiches Gesicht nicht hatte deuten können und das Fenster deshalb geschlossen ließ und hatte ihm auf die glänzenden Lederschuhe und die braunkarierte Hose gekotzt.
00:13:16: Nun, der Baron hatte sich umgezogen, saßen sie zu zweit am Estisch, der lang genug war und zwanzig Gästen ein Spanferkel, eine Gans, ein Vasan und drei Hasen zu servieren.
00:13:30: Sie schwiegen.
00:13:31: Denn sie waren es gewohnt, dass Maria Konversation machte, die in weiche Seidenkisten gebettet, im Westflügel lag und das Kind an ihre Brust gedrückt auf seine kleinen Atemzüge, immer des beständiges Reusbanden im Zimmer nebenan und die Geräusche des Schlosses lauschte und sich fühlte, als würde sie in den Kisten versinken, als wären die Taschen ihrer dunkelblauen Strickjacke mit schweren Steinen gefüllt, deren Gewicht sie hinabzog.
00:14:02: Sie immer tiefer in den Deckten, der Matratze und den Gänsefedern verschwinden ließ.
00:14:09: Es war kein schlimmes Gefühl, kein rasendes Fallen oder panisches Ertrinken, wie sie es aus ihren Träumen kannte.
00:14:17: Es war ein einfaches Eintauchen, ein stilles, aus dem Leben schwinden.
00:14:23: Es war alles, was sie wollte.
00:14:28: Ihr Vater war noch immer wütend auf sie.
00:14:31: Das konnte Ilona an den energischen Bewegungen sehen, mit denen er sein rotes Fleisch schnitt.
00:14:37: Sie wusste, dass er ihren Blick auf sich spürte.
00:14:40: Er spürte jeden Blick sofort.
00:14:42: Aber sie konnte ihn nicht lösen von seinem dichten, buschigen Schnorbad, der über seinen kaunen Mund auf- und abtanzte.
00:14:51: sah ihr Vater auf, schaute sie schnell auf ihren riesigen Teller.
00:14:56: Sie verstand nicht, wie man auf einen so wunderschönen Teller, aus kostbarem Herrent Porzellan, den filigranischen Metalinge, die Bellen, Vögel und Haselzwei geschmückten.
00:15:07: ein so grobes Stück Fleisch legen konnte.
00:15:11: Zum Glück brannte der Kronleuchter nicht.
00:15:13: Die Gaslampen an der tapizierten Wand zeigten schon mehr als genug.
00:15:20: Der Trick war, die Augen an den oberen, goldversierten Tellerrand zu heften, sodass es aussah, als würde man auf das Essen schauen, während man eigentlich nur im unteren Augenwinkel erkennen konnte, was man gerade zerschnitt.
00:15:36: Sie hörte ihren Vater Kaun und wusste, ohne aufzusehen, wir währenddessen den Blick durch den Saalschweifen ließ.
00:15:43: Er war unglaublich stolz auf all diesen Besitz.
00:15:46: Dabei begriff sogar die kleine Ilona, dass er nichts damit zu tun hatte und sie ihren Reichtum allein jenen Menschen verdanken, die er von all den gemeldeten Gegenblickten und trotz der zahlreichen Witze, die sie ihn erzählte, nicht einmal die Andeutung eines Lächelns schenkte.
00:16:07: Nach dem Essen begab sich Shandor in das angänzende Rauchzimmer, steckte sich eine Zigarre an und ging eine Weile schweigend auf und ab.
00:16:16: Bisher hat er jegliche Gedanken an das neugeborene Kind verdrängt.
00:16:20: Doch nun, da er allein war, konnte er sich nicht länger gegen sie wehren.
00:16:26: Er rauchte und legte die Stirn in tiefe Falten.
00:16:29: Dachte nach, ohne sagen zu können, worüber.
00:16:35: Herrn Török, den Landarzt, hatte das Kind nicht weniger verwundert.
00:16:39: So etwas muss ich sagen, habe ich in meinen vielen Jahren als Arzt noch nie gesehen.
00:16:43: Hochwohl geborener Baron.
00:16:46: Aber das Kind scheint gesund zu sein.
00:16:48: Die Organe funktionieren und die Haut ist zwar außerordentlich dünn, aber sie hält.
00:16:53: Nur das Sonnenlicht könnte ihm gefährlich werden.
00:16:58: Das Kind war also gesund, was die Sache nicht einfacher machte.
00:17:02: Einfach wäre ein Todgebäude gewesen.
00:17:07: Bei dem Gedanken an die nächsten Jahre seines Lebens, über die ein durchsichtiges Kind bestimmen würde, erwog Schander für einen winzigen Augenblick die Möglichkeit, den Jungen von der Brust seiner schlafenden Frau zu heben, die ihm im Badezimmer die kleine Nase und den Mund zuzuhalten und ihn anschließend wieder auf Marias Brust zu betten.
00:17:30: So würde er weiter seinen gewohnten Leben nachgehen können, dass er im Großen wie im Kleinen Im gemächlichen Lauf der Jahre, wie im verschachtelten Dahineilen des Alltags, darauf ausgelegt hatte, alte Tradition zu wahren und neue zu schaffen.
00:17:47: Schon als Kind hatte er es kaum erwarten können, später einmal mit derselben Feierlichkeit wie sein Vater, den Geschäften des Alltags nachzugehen.
00:17:58: Den dunkelgrünen Siegelring in das rote Wachs zu drücken, Verträge zu unterzeichnen, Geschäftspartner zu empfangen.
00:18:06: die Taschenohr aus der Weste zu ziehen, das Weinglas zum Mund zu führen.
00:18:13: Nach dessen Vorbild folgte das Leben des Barons einer strengen Routine.
00:18:18: Er stand bei Sonnenaufgang auf, schob die Nadelgrün-Vorhänge zur Seite, um auch seine Frau zu wecken, denn er konnte langschleifereinig ausstehen.
00:18:27: Ging ins Badezimmer, um sich die Wangen, das Kinn und den Hals zu rasieren, strich sich den Schnurrbad mit Olivenöl ein.
00:18:35: und kleidet sie sich dann vor den verquollenen Augen Marias an, um ihr zu demonstrieren, wie tüchtig, gepflegt und überlegen er war.
00:18:45: Anschließend begab er sich in den Speisesaal, um die Zeitung zu lesen.
00:18:52: Maria verließ das Bett erst, wenn die Schritte ihres Mannes im Flur verhalten.
00:18:57: Im Bad griff auch sie zum Rasiermesser, dessen Griff noch warm war, um sich mit den präzisen Bewegungen jahrelanger Übungen an der weichen, porzellanweisen Unterseite, ihre Arme, feine Schnitte zuzufügen.
00:19:12: Die so schmal waren, dass kaum Blutfloss und sich die Wunden innerhalb eines Tages wieder schlossen.
00:19:19: Zurück blieb ein fast unsichtbares Muster aus farbendünnen, rosigen Narben, das außer Parl nie jemandem aufgefallen war.
00:19:32: Der junge Knecht hat es bemerkt, als er der Baronin an einem ungewöhnlich warmen Frühlingsnachmittag auf ihren Schimmel geholfen, und ihr die Zügel gereicht hatte.
00:19:42: Dabei war der Ärmel von Marias Bluse hinaufgerutscht und hatte ihren Unterarm freigelegt.
00:19:49: In den wasserblauen Augenpaals hatte sie sofort erkannt, dass er die Narben gesehen hatte.
00:19:54: Ja, für einen Moment hatte er mit seiner groben Hand sogar nach ihrem Unterarm greifen wollen.
00:19:59: Dann aber nur gefragt, wieso tun sie das, geehrte Frau Baronen?
00:20:06: Maria hatte den jungen Mitfühlend angeschaut, ganz so, als wäre er derjenige mit den vernabten Armen.
00:20:13: und dann geantwortet, damit ich weiß, dass ich noch lebe.
00:20:19: Als Pal der Baronin am Abend aus dem Sattel geholfen hatte, war er ebenso traurig gewesen wie drei Stunden zuvor.
00:20:28: Maria war es vorgekommen, als würde sie ihn zum ersten Mal richtig sehen.
00:20:33: Sie hatte ihm ein zartes Lächeln geschenkt und er war rot geworden und hatte den Sattel schnell in den Stall getragen.
00:20:42: Aber Maria war ihm gefolgt, hatte seine breiten Schultern bestaunt, und sich wenige Schritte hinter ihm kaum hörbar geräuspert.
00:20:53: Neun Monate später kam Lyosch zur Welt.
00:21:09: Das ist mal ein erstes Kapitel, in dem was passiert.
00:21:12: Das finde ich ganz wunderbar.
00:21:15: Im Mittelpunkt steht das Waldschloss, ein mythischer, aufgeladener Ort, prachtvoll, aber auch düster, wo eigentlich alle Familienfäden zusammenlaufen, wohnt dort der Wahnsinn.
00:21:35: Ich weiß nicht, wo der Wahnsinn wohnt.
00:21:37: Er wohnt sicher in diesem Buch irgendwo drin.
00:21:41: Aber ich glaube nicht, dass ich abschließend sagen lässt, ob er in den Figuren oder in diesem Schloss oder im Wald oder einfach in dieser Zeit wohnt.
00:21:51: Aber er umgibt alles und durchdringt alles irgendwie.
00:21:55: Und der Bruder von Jandor ist ja sozusagen, fällt ja dem Wahnsinn an Heim.
00:22:03: Dieses Prachtvolle, damit spielen Sie ja ein bisschen.
00:22:06: Einerseits das Prachtvolle, andererseits das Unheimliche.
00:22:08: Es ist bei dem Wald ja auch so diese, ja wie bei E.T.
00:22:14: Harfmann, die Ambivalenz, also einerseits das anziehende, schöne, aufregende und dann aber auch wieder das Bedrohliche.
00:22:22: Wollten Sie diese Form von Märchenhaft im Ton oder das eben der Wahnsinn, sowohl der Wahnsinn, als aber eben dann natürlich auch sowas idyllisches immer wieder, die ganze Szenerie durchströmt?
00:22:37: Ja, das war schon gewollt.
00:22:42: Ich glaube, das Buch arbeitet sehr viel oder ist durchzogen von sehr vielen Kontrasten.
00:22:48: Und das ist so einer der Hauptkontraste, glaube ich, mit denen ich gearbeitet habe, dieses ... diese Gegensätze zwischen eigentlich einem Leben, wie man es sich vielleicht viele Menschen wünschen würden, und dann aber auch diesem Bedrohlichen, das da immer wieder einbricht und sie auch im Gibt.
00:23:11: Sie sind ja einerseits von diesem Wald abgeschirmt von der Zeit, die ja auch eben diesen Wahnsinn eigentlich in sich trägt.
00:23:19: Und gleichzeitig ist der Wald aber nicht nur Schutzschild, sondern eben auch Figur fast, die immer wieder als Bedrohung... eigentlich eintritt.
00:23:28: und trotzdem lässt sich dann auch nie abschließend sagen, wer jetzt verrückt ist oder was Einbildung ist und was Wirklichkeit.
00:23:42: und dieser Imre, der eigentlich meine Lieblingsfigur ist und ja immer dort so am Rand eigentlich oder an den Rand gedrängt wird auch und eben dem Wahnsinn ein Heimfeld, der beweist dann trotzdem auf die lange Sicht eine sehr große Klarheit auch.
00:23:59: Oder hat fast so ... Ich hab ihn mir jetzt speziell auch fast so ein bisschen als Orakel-Figur gedacht, wie ein Delphi, die da auf diesen Dämpfen saßen und so benebelt waren, aber dadurch dann auch eine Klarheit hatten, die die anderen Figuren vielleicht nicht haben.
00:24:18: Warum ist genau diese Figur Ihre Lieblingsfigur?
00:24:21: Weil Sie diese Klarheit dann im Laufe des Buches gewinnt, oder?
00:24:29: Sicher wegen der Klarheit, aber auch ... Weil sie oder alle Figuren wissen, was das Richtige wäre.
00:24:43: Und kaum eine Figur tut das Richtige.
00:24:46: Oder sie bringen den Mut nicht auf.
00:24:49: Oder die Kraft dann das Richtige zu tun.
00:24:52: Und er entzieht sich aber eigentlich dem ganzen Leben und dieser Zeit.
00:24:56: Und er tut zwar nicht immer unbedingt das Richtige, aber er schadet auch niemanden.
00:25:01: Und er nimmt sich zurück.
00:25:04: Und das ist mir sehr sympathisch.
00:25:07: Und der kleine Laiosch mit der durchsichtigen Haut und dem kleinen Organ, die man sieht, wie sind sie dann darauf gekommen?
00:25:18: Ich find das immer ganz schwierig.
00:25:19: Weil
00:25:19: das ist ja wirklich sehr außergewöhnlich.
00:25:23: Als Bild hier auch beim Lesen und die sofort so vorsicht, man sieht dieses kleine Wiesen.
00:25:28: Es ist auch so ein bisschen gruselig natürlich und ein bisschen unheimlich.
00:25:32: Ich glaube, also ich bin da nicht von ... diesen Bild ausgegangen, sondern zuerst von dieser Figur, dieser sensiblen Figur, die eigentlich gar nicht gemacht ist für diese Zeit und diese Familie.
00:25:45: Und das wollte ich dann zu spiedeln und eigentlich diese innerliche Veranlagung auf die äußere Ebene auch dort irgendwie zeigen und fühlbar machen.
00:26:01: Und so bin ich dann auf dieses Bild des durchsichtigen Kindes gekommen.
00:26:07: Und das war auch sehr wichtig, weil mir das dann überhaupt ermöglicht hat, darüber zu schreiben.
00:26:13: Es war eben schon, ich glaube, der fünfte Versuch.
00:26:17: Und bei allen früheren Versuchen habe ich immer gemerkt, dass ich noch nicht den richtigen Ansatz gefunden habe oder noch nicht den richtigen Ton.
00:26:27: Und als ich dann diesen ersten Satz hatte, in dem ja schon das Glasken vorkommt, wusste ich, dass es jetzt so funktionieren kann, weil ... da schon dieses Kontrastverhältnis zwischen fantastischem und historischem schon gegeben war in diesem ersten Satz.
00:26:47: Die Figuren, die Sie beschreiben, sind ja alle auf Ihre Weise ein bisschen verloren und interessanterweise eben immer der Wahnsinn an Heimfeld.
00:26:58: letzten Endes am wenigsten verloren vor.
00:27:01: Aber wie würden Sie Laajos beschreiben und welche Rolle nimmt er innerhalb des Familiengefüges
00:27:08: ein?
00:27:12: Was ihn kennzeichnet, ist schon, glaube ich, diese Unfälligkeit, die Welt nicht an sich ran zu lassen.
00:27:22: Und dadurch ähnelt er auch seiner Mutter, die dann ja auch daran zugrunde geht, an diesem dieser Unfähigkeit, sich da so eine Schutzschicht aufzubauen.
00:27:38: Und er hat eben auch diese Glashaut.
00:27:41: Er kann nicht die Welt von sich fernhalten, die durchdringt ihn einfach.
00:27:46: Und ich glaube, das ist das, was ihn am stärksten auszeichnet oder prägt.
00:27:52: Und dadurch gerät er auch immer wieder in so einen Zwiespalt während der Geschichte.
00:27:59: Er will einerseits das Richtige tun und eben wüsste auch, was das wäre.
00:28:04: und kann sich trotzdem nicht aus diesen sehr starken und starren Strukturen in denen er gefangen ist, befreien, weil er da eben nicht die Kraft oder den Mut zu hat.
00:28:15: Und
00:28:21: er ist dann ja zum Beispiel für während des Zweiten Weltkriegs für die Departition der Juden verantwortlich und kollaboriert dann oder kollaboriert nicht.
00:28:31: Aber er schlägt sich eigentlich immer auf die Seite der Gewinner.
00:28:37: und weiß aber, dass das nicht richtig ist und gerät dadurch auch in diesem moralischen ...
00:28:45: Aber trotzdem laviert er sich ja doch so durch.
00:28:48: Und es wird ja auch nicht ganz klar, welche Schuld er dann tatsächlich aus sich lebt.
00:28:53: Und er leidet ja dann durch uns auch darunter.
00:28:56: Das war mir auch wichtig zu zeigen, dass eigentlich niemand ... dass niemand die Schuld trägt, ist auch falsch, weil sie tragen Schuld.
00:29:06: Aber ... Gleichzeitig lässt sich das immer auch irgendwie erklären.
00:29:16: Es war mir wichtig, die Figuren nicht zu verurteilen, sondern einfach in einem sehr klaren Licht zu zeigen, was ihre Fehler sind, aber auch was ihre Stärken sind.
00:29:26: Ihre Figuren sind, so kamen sie mir jedenfalls vor, ja auch sehr ambivalent, also einerseits geprägt durch Nähe und Zuwendung und dann wieder durch Brutalität, auch im Umgang immer wieder, dass man auch so ein bisschen geschockt ist.
00:29:42: Hin und wieder, was die so tun, wenn sie diese Figuren entwerfen, begeben sie sich ja, sie leben ja auch in der Gegenwart.
00:29:54: Stellen Sie sich dann die Vergangenheit vor oder müssen Sie einfach nur auf die Gegenwart gucken und Sie in die Vergangenheit übersetzen?
00:30:02: Also anders formuliert, vielleicht ein bisschen klarer, als Sie in Ungarn unterwegs waren.
00:30:07: Es bleibt ja der Art im Russlands, kommt ja auch mal ein Buch vor und so.
00:30:12: Also die weltpolitische Lage, in der wir uns befinden, nun geht es da um Verlust, um Kriege, wir haben einen Krieg in Europa, hat diese Thematik beim Schreiben?
00:30:22: für Sie auch eine Rolle gespielt, auch bei der Entwicklung der Figuren?
00:30:29: Ich denke schon, dass man sowieso immer von allem beeinflusst wird, was einen umgibt.
00:30:36: Und es war nicht so, dass ich von der Gegenwart ausgegangen bin und dann irgendwie die Gegenwart in eine andere Zeit irgendwie transportieren wollte oder darauf projizieren.
00:30:48: So was nicht, aber es war mir immer wieder bewusst.
00:30:52: oder die Parallellen waren mir immer wieder bewusst, während ich über die Vergangenheit geschrieben habe.
00:30:56: Und ich habe sicher moderne Elemente irgendwie auf diese Zeit projiziert.
00:31:09: Aber gleichzeitig hatte diese Zeit, über die ich geschrieben habe, auch einfach von sich aus schon eine sehr große Parallelität zu der Zeit, in der wir heute leben.
00:31:18: Ich glaube, die Unsicherheit, die die Figuren empfinden und diese Umwälzungen und Strudel, das ist etwas, was heute wieder sehr viele Menschen beschäftigt.
00:31:29: Haben Sie das Gefühl, indem Sie sich mit der Vergangenheit beschäftigen, dann eben doch die Gegenwart auch wiederum so ein bisschen besser zu verstehen?
00:31:38: Weil Sie auch gesagt haben, dann sieht man auch immer wieder die Parallelen.
00:31:48: Ja, wahrscheinlich schon.
00:31:49: Ich weiß nicht, ob ich ein besseres Verständnis für die größeren politischen irgendwie Lagen gekriegt habe.
00:32:00: Ich würde mir das auch nicht zutrauen, das dann irgendwie zu erfassen.
00:32:06: Es ging mir immer darum, zu zeigen, wie die historischen Umwälzungen die Figuren beeinflussen und nicht, was diese historischen Umwälzungen beeinflusst hat.
00:32:17: Das würde ich mir nicht zutrauen.
00:32:20: Aber rein das Verständnis für so eine Zeit zu kriegen und auch ein Verständnis dafür, was das mit den Figuren macht und was das für ... konkrete Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat, das ist sicher hilfreich.
00:32:34: Und da kann die Literatur auch ansetzen und noch über die reine Geschichtsschreibung hinausgehen, weil das dann trotzdem immer nur Fakten und Zahlen bleiben, die sehr abstrakt sind.
00:32:49: Wie haben Sie die einzelnen Jahrzehnte recherchiert?
00:32:55: Gab es so einen Lieblingsjahrzehnte, mit dem Sie sich besonders gerne beschäftigt
00:33:00: haben?
00:33:02: Das gab es nicht.
00:33:06: Es gab es auch nicht, dass ich gewisse Jahrzehnte besonders schwierig fand.
00:33:09: Es gab aber sicher Episoden, die ich schwierig fand.
00:33:15: Die Fluchten beispielsweise fand ich sehr schwierig zu erzählen.
00:33:21: Und auch schwierig zu recherchieren.
00:33:25: Es gab immer wieder Momente, in denen ich an Grenzen gestoßen bin und gemerkt habe, da fehlt mir einfach auch sehr viel Wissen.
00:33:36: Ich konnte gewisse Zeit spannen, konnte ich wirklich durch Berichte beispielsweise meiner Großmutter oder von meinem Großonkel abdecken.
00:33:47: Und das war natürlich sehr hilfreich und andere Zeiträume haben sie auch nicht erlebt.
00:33:52: Und da war es dann sehr hilfreich, dass ich zu meinem Großonkel reisen konnte und er mir beispielsweise Fotoalben aus den zwanziger und dreißiger Jahren zeigen konnte.
00:34:03: Ich dann dadurch noch ein vertieftes Gefühl gekriegt habe für diese Zeit.
00:34:10: Und dann war sich ja auch andere Literatur sehr wichtig, um mich da einzulesen.
00:34:18: Zum Beispiel?
00:34:22: Ich wusste irgendwann, dass mein zeitlicher Rahmen von nineteenhundert bis neunzehnzechstenfünfzig sein soll.
00:34:29: Und wusste dann, dass ich, wenn ich über die ... Kaun Karmonachie in diesen Jahren schreibe, dass ich da am besten Josef Roth lesen sollte, weil er einfach so ein Chronist war von dieser Zeit und ich da wahrscheinlich schon ein sehr gutes Gespür für Kriege, wie das damals gewesen sein
00:34:52: muss.
00:34:53: Und wenn Sie sagen, dass die Fluchtbeschreibung Ihnen Probleme gemacht haben, ist das sozusagen, weil diese Schicksale dann so verdichtet sind und auch so ungeheuerlich und so fürchterlich auch.
00:35:04: dass es einem fast monströs vorkommt, wenn man als jemand, der in Zürich lebt, darüber schreibt und sich da einversetzt,
00:35:13: oder?
00:35:14: Ja, das hat sich sehr falsch angefühlt, da einfach an meinem Schreibtisch zu sitzen und darüber zu schreiben, wie sie irgendwie durch den Winter geflohen sind mit Karren und so Pferdetrecks.
00:35:31: Da habe ich mich auch immer wieder gefragt, ob ich das überhaupt darf und ob das überhaupt gerechtfertigt ist, das zu beschreiben so.
00:35:42: Und es war natürlich auch schwierig, weil man sich schon, glaube ich, in sehr viel hineinversetzen kann, was man auch nicht erlebt hat.
00:35:52: Das ist auch ja eine der Aufgaben als Schriftsteller.
00:35:57: Und trotzdem war ich dann in diesen Momenten ... irgendwie von der Aufgabe gestellt, die ja fast zu schwierig war, weil ich wusste, dass das so eine Grenzerfahrung ist, dass man sich da nicht hineinversetzen kann.
00:36:14: Ihre Figuren sind auf unterschiedliche Art und Weise, so ging es mich jedenfalls beim Lesen, so eine gewisse Skurrilität auch.
00:36:23: Sie springen dann sehr schnell, Kapitel ist zu ändern, dann vergehen sehr schnell viele Jahre.
00:36:30: Die Kapitel sind sehr kurz.
00:36:33: Und dann bekommt Laios zwei Kinder.
00:36:36: Einmal Eva und einmal Spitzname Pista, wenn ich es richtig ausspreche.
00:36:43: Genau.
00:36:44: Und Pista redet mit seinem Schatten.
00:36:47: Es ist auch ein bisschen unheimliches, ungewöhnliches Kind.
00:36:51: Haben Sie da irgendwie so ein Febel für diese... sind Sie selber ein strangest Kind gewesen,
00:36:57: oder?
00:37:00: Das weiß ich nicht.
00:37:02: Ich habe sehr viel mit mir selber gesprochen.
00:37:04: Nicht mit Schatten, aber mit mir selbst.
00:37:08: Das finde ich sehr interessant.
00:37:10: Also als Kind oder immer noch?
00:37:16: Schon als Kind.
00:37:17: Also jetzt führe ich ja ganze Dialoge irgendwie mit mir selber.
00:37:22: Aber jetzt wird das auch eher so akzeptiert.
00:37:27: Stimmt, das ist dann eine ganz gute Tame.
00:37:29: Ja, eigentlich schon.
00:37:38: Das war wichtig für mich, diese Märchenhaften oder fantastischen Elemente drin zu haben, weil das auch eine der Schwierigkeiten war bei den früheren Versuchen.
00:37:49: Und ich dann gemerkt habe, so klappt es mit diesen Elementen.
00:37:53: Und auch da war meine Großmutter sehr wichtig, weil sie am Ende ihres Lebens im Altersheim war ein ziemlich Dement.
00:38:01: Und sie hat dann eigentlich auf eine ähnliche Weise erzählt.
00:38:07: Und es war dann für sie völlig selbstverständlich, dass sie Leute aus dem Himmel irgendwie besucht haben oder dass sie ... Sie hat immer wieder erzählt, sie müsse am Abend noch ins Jagdschloss.
00:38:20: Und ... Hat das aber uns erzählt, während wir dort saßen und mit ihr Kaffee getrunken haben und hat uns dazwischen gefragt, wie es uns in der Schule geht.
00:38:33: Dieser Ansatz hat mir sehr gefallen, dass das fantastisch und dass die Realität so nebeneinander existieren können und dass man sich gar nicht mehr fragt, wie das aufzulösen wäre und was echt ist und was nicht.
00:38:49: Manchmal ist es ganz schön, dass ... Träumerische Märchen hafte auch zu flüchten, um der Zeit zu entgehen.
00:38:56: Dieses Gorillitäten beziehen sich auch nicht nur auf Schatten oder Organe, die durchscheinen, sondern auch auf Sex.
00:39:06: Von dem es doch eine Menge gibt, würde ich sagen, in dem Buch.
00:39:10: Also ... hatte ich gar nicht damit gerechnet, weil ich das auch in den Rezensionen gar nicht so viel gelesen hatte.
00:39:16: Wir wollen das Buch gelesen haben, dass wir uns die Kollegen jetzt so zurückhalten dürfen.
00:39:23: Jedenfalls also Shandor zum Beispiel, hat ja eine Geliebte und der legt ja immer die schmutzigen Füße ab.
00:39:33: Und ich habe auch gelesen, dass sie so ein bisschen Skrupell hatten bei den Sechszehn.
00:39:39: und Man hört hier auch immer, wenn Schriftsteller sagen, ja, das ist irgendwie schwierig.
00:39:43: Und es ist ja auch wahnsinnig schwierig.
00:39:45: Da geht der Ton schnell daneben.
00:39:48: Ich habe natürlich gehofft, dass Sie so eine Stelle heute aussuchen, haben Sie leider nicht.
00:39:52: Das hätten Sie mir sagen müssen, damit Sie das schon können.
00:39:55: Ja, hab mich nicht so richtig getraut.
00:40:00: Aber wie war das für Sie, die zu schreiben?
00:40:08: Die Szenen sind ja eigentlich schon mal nur von der ... auf der sprachlichen Ebene sehr schwer zu schreiben, weil man irgendwie kein gutes Vokabular dafür hat.
00:40:18: Das ist entweder so sehr anatomisch oder dann sehr... sonst irgendwie... Wie sagt man das?
00:40:30: Ist irgendwie abschreckend fast, wenn man das dann so liest.
00:40:35: Das würde sich nicht
00:40:36: einfrieden.
00:40:36: Henry Miller?
00:40:37: Wie bitte?
00:40:38: Henry Miller mal gelesen?
00:40:39: Nee, noch nicht.
00:40:41: Aber ja.
00:40:43: Und darum war das sicher daher schon sehr schwierig.
00:40:50: Dann muss man natürlich radikal verdrängen, dass das dann all diese Leute lesen und man auch noch auf der Bühne drauf angesprochen wird.
00:41:01: Was aber natürlich auch völlig in Ordnung ist.
00:41:04: Es ist ja nicht umsonst im Buch.
00:41:07: Aber ich wusste von Anfang an, dass das auch ins Buch muss und dass ich das nicht aussparen möchte oder kann, weil Einerseits sich schon sehr viel darum dreht und auch gerade in unserer Zeit wir ja eigentlich stündlich davon irgendwie umgeben und geflutet werden in jeder Werbung, in jedem Film, eigentlich überall.
00:41:32: Und gleichzeitig begleite ich viele dieser Figuren ja auch durch ihr ganzes Leben.
00:41:41: auch in ihrem Aufwachsen und das hat dann ja fast so bisschen was wie irgendwie den Frühlingserwachen, dass die Figuren sich einfach sehr viele Gedanken darüber machen und sie das einfach auch beschäftigt, weil ich weiß nicht mehr, wer das ist.
00:41:55: Ilona, glaube ich, eine Figur, die das als etwas beschreibt, was sie erahnt, etwas Großes und Bedeutungsvolles, als sie gerade erst zu erwachsen wird und das aber noch nicht ganz fassen kann, aber weiß irgendwie, dass da etwas ist, was irgendwann ja eine große Bedeutung auch haben wird.
00:42:16: Und dem wollte ich auch Raum geben.
00:42:21: Sie sagten ja auch mal beim Schreiben, waren Sie so ein bisschen gehemmt, weil Sie sich Ihre Eltern auch vorgestellt haben, die es dann lesen?
00:42:30: Was stell ich mir in der Tat so ein bisschen hemmend vor?
00:42:33: Ja, radikal verdrängen.
00:42:39: Aber die waren dann schon zufrieden damit?
00:42:42: Ja.
00:42:43: Also ja, doch.
00:42:46: Eigentlich ist das, glaube ich, so eine stille Vereinbarung zwischen Schreibenden und den Familien dieser Schreibenden, dass man dann auch über solche Dinge nicht spricht und das dann einfach mal so stehen lässt.
00:43:00: Aber meine Mutter hat dann tatsächlich eine dieser Szenen, fand sie, besonders gelungen.
00:43:06: Welche?
00:43:07: Ja, muss ich sie doch vorlesen, vielleicht.
00:43:09: Ja,
00:43:10: bitte, bitte.
00:43:12: Ich muss sie kurz finden.
00:43:25: Sie können gerne schon eine nächste Frage stellen, wenn Sie
00:43:27: wollen.
00:43:32: Ich hab's.
00:43:33: Gott
00:43:54: sei Dank.
00:44:06: Mit seiner Zunge den Schmutz von ihren Fußsohlen legte, seine Nase in ihre Achselhöhlen grub und ihren Hintern auf seinen Gesicht platzierte.
00:44:15: Unter diesem konnte er alles vergessen.
00:44:17: Die schlechte Getreideernte, die nationalen Bestrebungen der Balkanländer, den bedrohlichen Atem Russlands, den großen Kaiser, der klein und alt über seinen Zerbröckelndes Reich herrschte, seinen Bruder, seine Frau, ja sogar seinen schwächlichen, blassen Sohn.
00:44:49: Erst mal kurz durchatmen.
00:44:53: Sie arbeiten ja sehr viel mit Intertextualität.
00:44:56: Und sie zitieren oft.
00:44:58: Also Toten Venedig kommt vor.
00:45:01: Viele andere, Prust, Itéa Hoffmann, ganz viele andere, ne?
00:45:07: Ja.
00:45:07: Örtin der Wulf natürlich.
00:45:09: Eva Listern, Kraftgar, die verbotenen Schriftsteller.
00:45:13: Warum war Ihnen das wichtig?
00:45:14: Also war das sozusagen ... Lege so ein paar Pferden aus vor.
00:45:21: alle Kritiker, die wahnsinnig gebildet sind und sich irre freuen, wenn sie sagen, ah, da ist doch der Aschenbar.
00:45:26: Super, das kann ich in meiner Rezension schreiben.
00:45:28: Oder eher, weil es für sie zu diesen Figuren auch dazu gehört.
00:45:34: Oder weil sie zeigen wollten, hey, ich bin jung, aber ein bisschen Wasser, aber ein bisschen Wasser hab ich auch schon gelesen.
00:45:43: Und zwar die richtigen
00:45:43: Dinge.
00:45:45: Nee, so viel Kalkül.
00:45:47: hat da nicht dahinter gesteckt oder nicht in diese Richtung Kalkül.
00:45:52: Einerseits mag ich es sehr, wenn andere Autorinnen und Autoren das machen, wenn sie irgendwie... Ich bin zum Beispiel großer Fan von Knausgrad und finde es mit am schönsten, wenn er über andere Autoren schreibt und zum Beispiel andere Lektüreerfahrungen mit einbezieht und darüber schreibt.
00:46:16: Und... sicher wollte ich es darum einfach einbauen.
00:46:20: und dann waren es Dinge, die ich während des Schreibens gelesen habe und die mich dann einfach inspiriert haben und sich irgendwie so fast in den Text einfach eingegraben haben.
00:46:34: dann und andererseits gehört es schon zu den Figuren dazu oder ich glaube es hat fast immer eine Es ging mir nicht darum, ein Name-Dropping zu machen und zu zeigen, was ich alles gelesen habe, sondern mehr die Literatur als eine performative Kraft zu zeigen.
00:47:02: Beispielsweise Imre, der nach der Lektüre von E.T.
00:47:07: Hoffmann verrückt wird.
00:47:09: Oder die Schwester von Laios, die auf ihrer Flucht auf Zugmeier trifft.
00:47:16: Da konnte ich sehr schön ... auch zeigen, dass ich beispielsweise diese Fluchterfahrung da auf seine Berichte von dieser Flucht zurückgegriffen habe und gezeigt habe, wie das für ihn war.
00:47:28: Und es ging mir schon immer darum, dass die Literatur einen Einfluss auf die Handlung
00:47:35: hat.
00:47:36: Das ist sehr interessant, dass Sie das sagen.
00:47:37: Und finde ich auch schön, dass Sie während des Schreibprozesses eben auch viele Lesen haben, weil es gibt natürlich auch viele Schriftstelle, die sagen, ich lese überhaupt nicht, wenn ich schreibe, weil ich möchte nicht, dass mein Ton irgendwie verwässert.
00:47:51: Aber letzten Endes ist es ja auch so, dass man durch das Lesen auch lernt.
00:47:55: Ja, auf jeden Fall.
00:47:57: Und es wäre auch schwierig.
00:47:59: Ich weiß nicht, wie die das machen, ob die dann manchmal gar nicht schreiben und dann lesen oder ob sie einfach nicht mehr lesen.
00:48:08: Und darum kam das für mich nicht in Frage, nicht mehr zu lesen während des Schreibens.
00:48:12: Aber es ist dann so ein zielgerichtetes oder vorsichtiges Lesen.
00:48:19: Ich lese dann schon Dinge, von denen ich weiß, dass sie mich vielleicht inspirieren können, aber auch nicht Dinge, die mich zu weit wegholen von meiner Geschichte.
00:48:29: Faserland lesen können nebenbei mit diesem sehr eigenen Ton und ganz anderer Timate.
00:48:34: Das ist
00:48:34: ja merkwürdig, wenn sich der Krachter eingeschlichen hat.
00:48:39: Wir haben jetzt zwar diese sechs Szene aus der Reihe gelesen, aber wir haben ja noch ein anderes Kapitel, das Sie lesen wollten und vielleicht damit alle gleich mit einsteigen können.
00:48:49: Wir springen jetzt nämlich ganz schön in der Zeit.
00:48:52: Vielleicht wollen Sie einfach ganz kurz sagen, wo springen wir hin und wie sind die Umstände?
00:48:59: Wir springen eigentlich jetzt vom Anfang ganz ans Ende.
00:49:04: Und Laios hat mittlerweile eben diese zwei Kinder gekriegt, Eva und Pista.
00:49:11: Und Imre lebt immer noch.
00:49:13: Und ist mittlerweile aber in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht, in die er nach der Enteignung eingewiesen wurde von der Regierung.
00:49:23: Und Eva und Pista wollen in die Schweiz fliehen.
00:49:27: Und davor aber noch einmal ihren... Onkel sehen.
00:49:32: Ihren Großonkel sogar.
00:49:39: Die psychiatrische Anstalt lag am Rand der Stadt.
00:49:42: In einem Herrenhaus, das einem jüdischen Kaufmann gehört hatte, der während des Zweiten Weltkriegs im Ghetto umgekommen und dessen Vermögen nach der Machtübernahme durch die Russen Staatsbesitz geblieben war.
00:49:55: Die Gegend wirkte beinah ländlich.
00:49:58: an den weitläufigen, verschneiten Garten schlossen weiße Felder an.
00:50:02: bei deren Anblick Eva seit langer Zeit die düstere Geschichte vom Blinden wieder in den Sinn kam.
00:50:10: Imre saß an einen der Tische im verlassenen Wintergarten und blickte hinaus.
00:50:16: Die letzten Wochen war der Himmel ein graues Meer gewesen, aus dem mehrmals täglich große Flocken auf die Stadt gestürzt waren.
00:50:23: Jetzt waren die Schneefelder unter der weißen Sonne so grell, dass man kaum hinsehen konnte.
00:50:31: Ihrem Großonkel schien das nichts auszumachten.
00:50:34: Er hatte nicht nur seinen Blick, sondern seinen ganzen Körper der hellen Landschaft hinter der Fensterfront zugewandt, während ihn die Wirklichkeit im Innern nichts anzugehen schien.
00:50:46: Pista und Eva bemerkte er erst, als sie sich ihm gegenüber an den Tisch setzten.
00:50:54: Es war nicht einfach gewesen, eine Bewilligung für den Besuch in der Anstalt zu bekommen, aber sie hatten immer beide unbedingt noch einmal sehen wollen.
00:51:03: Jetzt Da sie ihm nach fünf Jahren wirklich wieder gegenüber saßen und ihren Blick ohne ein Zeichen des Erkennens begegnete, erschien ihnen das wie ein Fehler.
00:51:14: Sie waren in der Erwartung hergekommen, ihn unverändert vorzufinden, denn worin unterschied sich sein Leben hier schon von jenem im Waldschloss.
00:51:23: Doch nun sah er sie mit leeren Augen an und erinnerte nur noch äußerlich an ihren Großonkel, der fast ihr Leben lang ein Teil von diesem gewesen war.
00:51:33: Zumindest am Rand ihres Blickfelds, hinter dem Fenster des blauen Zimmers.
00:51:41: Seine natürliche Eleganz hat er trotz seines hohen Alters nicht eingebüßt.
00:51:45: Aber ansonsten unterschied er sich kaum von den sich an den Kopfschlagenden, Zitternden oder vor sich hinwurmelnden Gestalten, die sich Stunde um Stunde in endlosen Runden durch die Flure des Hauses schleppten.
00:52:00: Er saß Kerzen gerade da, vollkommen unbeweglich.
00:52:04: bis auf seine linke Hand, die nicht zu seinem Körper zu gehören schien, sondern wie ein kleinknochiges, sehniges Tier wirkte.
00:52:13: Sie strich mechanisch über die rauere Oberfläche des Tischtuchs, in meinem Kreis, unaufhörlich.
00:52:21: Die beiden Geschwister konnten ihren Blick nicht lösen von dieser Hand.
00:52:25: Sie saßen stumm da, alle drei, hörten nur, wie der Schnee über das schräge Glastach des Wintergartens dem Abgrund entgegen rutschte.
00:52:34: und wie die in sich selbst Verlohrenen, Verbanden, ihre Runden gingen und vor sich hinmurmelten.
00:52:42: Da dachte Pista, dem Kreis der Hand folgend, dass Imre sie vielleicht gar nicht mit diesen leeren Augen ansah, weil er sich verhändert hatte, sondern weil sie nicht mehr dieselben wie vor fünf Jahren waren.
00:52:58: Von den Ästen der Bäume, die im Garten standen, rieselte Schnee.
00:53:02: Die kristale Flimmerten in der klaren Luft.
00:53:06: Am Himmel waren große weiße Wolken aufgezogen, die noch größere Schattenwarfen, zwischen denen die Schneefelder hellen Eisschollen in schwarzem Wasser glichen.
00:53:17: Erst bei diesem Anblick realisierte Eva, wie lange sie hinter den zugezogenen Vorhängen des Durchgangszimmers gelegen hatte.
00:53:25: Und erst bei diesem Anblick begriff Pista, was es bedeutete, von den Männern in den langen schwarzen Mänteln verhaftet zu werden.
00:53:35: Janoschs Verhaftung lag nun schon zwei Tage zurück.
00:53:39: Zwei Tage unter der Erde, zwei Tage Zigarren auf der Haut und elektrische Schläge.
00:53:46: Auch von Stehe und Kauerzellen hatte Pista gehört, von Schlafentzug und Knüppelschlägen.
00:53:53: Wie lange werde er durchhalten, dachte er, während die Schneekristalle von den Ästen rieselten.
00:53:59: Wie lange werde er schweigen, dachte sie, während ihm eine Kreise auf die Testecke zeichnete.
00:54:07: Als sie sich erhoben, Hierüber die Stühle gehängten Mäntel wieder anzogen, die Schals um den Hals wickelten und die Handschuhe überstreiften.
00:54:17: Als ihrem Großonkel noch einmal über die Schulter strichen, einen letzten Blick auf ihn warfen und ihm den Rücken zu kehrten, um zu gehen, da sagt er, danke für den netten Besuch.
00:54:30: Es war sehr schön mit euch.
00:54:33: Sie treten sich um uns an, ihn erstaunt an, aber er saß da wie zuvor, mit leeren Blick und kreisender Hand.
00:54:41: Trotzdem streiften sie ihre Handschuhe wieder ab, wickelten sich die Scharls vom Hals, hängten ihre Mäntel über die Stühle und setzten sich wieder.
00:54:50: Ohne sie anzusehen, sagte Imre nun, lange könnt ihr nicht mehr bleiben.
00:54:55: Ihr müsst gehen, bevor sie kommen und es dunkel wird.
00:55:00: Es war später Vormittag und auch wer kommen sollte, wusste Pista nicht.
00:55:05: Doch während weiter der Schnee von den Ästen rieselte und Imre, der plötzlich nicht mehr aufhörte zu sprechen von einem Jagdhauserzählte, in dem man auf ihn warte, erinnerte sich Pista an das abendliche Rauschen des Waldes, an das Singen der Amsel, das Guren der Tauben, an den Geruch des Holunders, an sein samtendes Weiß im Dämmerungsblau, erinnerte sich an das glänzende Schwarz der Brombeeren, an das voller werdende Schwarz der Schatten, an das Licht in Pontillas Fenster und die Stimme hinter seiner Zimmerwand, an die Porträts und die Flure, die Treppen und die Möbel, an die kina-roten Lampenschirme und die Vorhänge vor den offenen Salonfenstern.
00:55:49: Das musste ein blauen Spielzimmer teppig und die blauen Wände in dem Risszimmer, dessen Flucht in den Wahnsinn vielleicht das einzig Sinnvolle gewesen war.
00:56:11: Was mir in dieser Figur auch so gut gefällt, ist, dass man sie ja am Anfang kennenlernt, als Abgeschottete in diesem Zimmer lebende Figur.
00:56:18: Und man trifft sie dann immer mal wieder.
00:56:21: Und am Ende hat man das Gefühl, Am Anfang tat es ja im Leid und am Ende denkt man, es ist eigentlich die glücklichsten Anführungsstrichen.
00:56:30: Von glücklich sein kann man nicht reden, aber die Figur, die am wenigsten beschädigt ist, die sich am wenigsten hat zu Schulden kommen lassen, die sich in den Wahnsinn geflüchtet hat, so endet das ja auch.
00:56:41: Ist es so, kann man das so sagen?
00:56:44: Ja, ich glaube schon, dass dieser Gedanke von Piszta am Ende eine große Gültigkeit hat.
00:56:52: und dass er eben durch diesen Rückzug in sich selbst oder diese Flucht auch in den Wahnsinn dann nur deshalb eigentlich bestehen konnte.
00:57:02: Während die anderen Figuren sich ja entweder zugrunde gerichtet werden oder sich selbst zugrunde richten und daran eigentlich scheitern.
00:57:11: Und dass sich selbst auch umbringen, ne?
00:57:12: Genau.
00:57:15: Also Wahnsinn als Lösung würde
00:57:19: ich das nicht sagen.
00:57:20: Aber was auffällt, finde ich, Bei allen Stellen, die Sie gelesen haben, Sie haben einen sehr genauen Blick auf Details.
00:57:27: Es ist wahnsinnig atmosphärisch dichtgeschrieben.
00:57:30: Sie studieren Filmwissenschaft.
00:57:32: Inwiefern hilft das Ihnen?
00:57:40: Ich habe wahrscheinlich schon von Grund auf einen filmischen Blick oder eine filmische Art, die Dinge zu beschreiben, weil ich mit diesem Medium aufgewachsen bin und das mich sicher auch geprägt hat.
00:57:56: Und ich sehe ... Die Szenen auch wirklich wie ... Nicht wie ein Film, aber wie Fotos vor mir.
00:58:03: Das sind keine bewegten Bilder, aber ... das sind so Standbilder.
00:58:08: Und
00:58:08: ... natürlich schon auch die Sprache und die Wörter.
00:58:12: Es geht mir jetzt nicht nur darum, diese Bilder irgendwie zu vermitteln.
00:58:16: Es geht mir schon darum, wie ich die vermittle.
00:58:18: Aber ... es steht schon immer dieses so szenische auch im Vordergrund.
00:58:24: Und ... es ist nicht so ... ein bewusster Vorgang.
00:58:32: oder es war jetzt nicht so, dass ich, weil ich schreibe, wusste, dass ich irgendwie Film studieren möchte, aber einfach weil da meine Interessen auch noch liegen und ich deshalb einfach davon beeinflusst werde, denke
00:58:45: ich.
00:58:46: Sie schreiben mit der Hand, habe ich gelesen, ist das richtig?
00:58:49: Ja.
00:58:50: Wie kam das?
00:58:53: Mein erstes Buch habe ich nicht von Hand geschrieben und dann aber immer gemerkt, wenn ich nicht weiterkam, dass ich dann auf dieses Mittel zurückgegriffen habe und darauf ausgewichen bin.
00:59:05: Und dann habe ich irgendwann gedacht, dass das sich wahrscheinlich einfach richtig anfühlt und mir leichter fällt, dann zu schreiben.
00:59:19: Und dann habe ich es bei diesem Buch beim fünften Versuch vielleicht, dass es drum geglückt, dann von Hand versucht.
00:59:28: Und es hat sich als sehr richtiger Wiesen.
00:59:31: Ich glaube ... Es hat verschiedene Gründe.
00:59:34: einerseits, weil es ist ein langsamerer Prozess.
00:59:39: Und ich habe das aber gemerkt, dass ich am Computer manchmal fast zu schnell bin, zu schnell tippe und nicht nachkomme mit Bildern und Gedanken.
00:59:49: Und gleichzeitig hat es natürlich auch etwas sehr Schönes, wenn ich wirklich sehe, wie das physisch wächst und größer wird.
00:59:58: Es ist auch hilfreich, weil ich dann schon einen ersten Überarbeitungsschritt drin habe.
01:00:02: Ich schreibe zum Beispiel am Abend und dann tippe ich am nächsten Morgen ab, was ich geschrieben habe und überarbeitet es schon erstes Mal.
01:00:11: Und dann überarbeiten Sie es aber, während Sie es im Wortdokument schreiben.
01:00:15: Ja, genau.
01:00:21: Bevor wir dann noch zur letzten Stelle kommen und Sie Bücher signieren werden, müssen wir auch jetzt noch mal ... über das Thema Genieverdachtkurs sprechen und über ihr Alter.
01:00:35: Sie sind zweiundzwanzig.
01:00:37: Das wollen wir hier nicht verheimlichen.
01:00:41: Sie werden in den höchsten Tönen gelobt.
01:00:44: Also es ist fast schon so ein bisschen unheimlich.
01:00:48: Kehlmann ist außer sich und ... Jetzt wirken Sie auf mich nicht wie jemand, der schon dem Größenwahn an einem gefallen ist.
01:00:58: Aber wie ist es für Sie so taktiklich?
01:01:09: Erst mal ist es natürlich schöner als Kritik.
01:01:11: Aber ich versuch, beides nicht zu nah an mich ran zu lassen und mir beides nicht zu sehr zu herzen zu nehmen.
01:01:21: Ich würde mich niemals als Schnee bezeichnen.
01:01:28: Das ist auch wichtig, glaube ich, zu wissen und eben diese Distanz dazu wahren, weil sowohl... Wahrscheinlich ist es am besten gar nichts zu lesen, weil alles irgendwie das Schreiben beeinflusst und es wahrscheinlich am besten ist, sich einfach aus sich herauszuentwickeln und... Ja, ich glaube, es ist beides.
01:01:51: Fürs Schreiben an sich erst mal schädlich.
01:01:55: Dann für die Verkäufe ist es natürlich sehr schön und... Es ist natürlich schön, dieses Lob zu hören, aber ich bin mir schon sehr bewusst auch, dass es einfach die Meinung von gewissen Menschen ist und nicht jetzt irgendwie was Definitives
01:02:14: an.
01:02:15: Aber würden Sie sagen, also gut, es ist natürlich immer schwer zu beantworten, aber einerseits gibt es ein großes Talent und ein großes Sprachvermögen und die Fähigkeit eben sehr sinnlich und atmosphäre Stich zu schreiben und andererseits ist Schreiben natürlich auch Handwerk.
01:02:33: Und wenn ich mich recht ins Sinne, sagten Sie auch mal, dass niemand auch zur Welt kommt und sich als großer Schrittsteller an den Schreibtisch setzt, sondern dazu auch erst
01:02:44: wird.
01:02:45: Ja, ich finde gerade so den Begriff Wunderkind eigentlich problematisch, weil das eben, also ein Wunder ist etwas, das man widerfährt.
01:02:55: Das habe ich extra schon nie gesagt.
01:02:57: Ja, Sie.
01:03:01: Und ja, es klingt dann ein bisschen auch immer so, als wäre mir das irgendwie so zugefallen und einfach so mal passiert oder geschehen.
01:03:10: Und das ist es natürlich nicht.
01:03:12: Es steckt sehr viel Arbeit dahinter und eben es ist nicht einfach der erste Versuch, der dann mal geglückt ist, sondern das ist mein zweites Buch und das ist der fünfte Versuch und es ist nicht etwas, das jetzt einfach innerhalb von einer sehr kurzen Zeit so passiert ist.
01:03:31: Und ich glaube, das wird durch so Begriffe etwas verschleiert.
01:03:36: Wenn Sie sagen, der fünfte Versuch, das finde ich auch wunderbar, dass Sie das sagen, weil man daran natürlich erkennt, dass Sie auch sehr gerungen haben.
01:03:43: Und das ist ja die Frage, auch die man sich natürlich automatisch stellt.
01:03:45: Jemand, der so jung ist, packt einen so großen Stoff
01:03:49: an.
01:03:52: Ja, ich wusste, dass ich diesen Stoff verarbeiten möchte und ... war mir aber auch sehr bewusst, dass das ein sehr großer Stoff ist.
01:04:07: Deshalb war es mir auch wichtig, dass ich das möglichst gut mache.
01:04:13: Bei frieren Versuchen habe ich gemerkt, dass ich dem nicht gerecht werde, diesem Stoff.
01:04:18: Das war einerseits habe ich eine sehr große Verpflichtung meiner Familien gegenüber verspürt, dass ich das auch dann gut mache.
01:04:27: Und andererseits natürlich auch dem historischen Stoff gegenüber.
01:04:33: Deshalb war das schon ein großes Ring.
01:04:36: Manchmal hatte ich das Glück, dass ich nach den Seiten gemerkt habe.
01:04:40: Das ist der falsche Ansatz.
01:04:41: Manchmal waren es auch hundert Seiten.
01:04:44: Trotzdem war es wichtig, dass ich da immer wieder gescheitert bin und nicht diesen zweiten Versuch durchgeboxt habe.
01:04:53: Aber Sie haben es selbst gemerkt beim Schreiben?
01:04:55: Ja.
01:04:55: Das ist es noch nicht.
01:04:57: Es hat niemand.
01:04:57: Sie haben es nicht ihren Eltern gegeben und gesagt, na ja, setz dich noch mal hin.
01:05:03: Ich zeig, dass alles niemandem bevor es nicht fertig ist.
01:05:06: Also meine Eltern haben erst die gedruckte Version dann gekriegt.
01:05:11: Und ja, die finden das immer sehr schlimm.
01:05:17: Und auch, ja, ich schütze meinen Schreiben eigentlich so vor allem äußeren Einflüssen, so gut es geht und zeig auch dem Verlag und der Agentur und so erst, wenn ich schon wirklich was Handfestes hab und das eigentlich ... zumindest fertig gedacht ist schon.
01:05:37: Vielleicht darf ich am Schluss, bevor Sie noch mal lesen, fragen, was Ihre Pläne für die Zukunft sind.
01:05:41: Ihr erstes Buch, Anton will bleiben, hat ja einen komplett anderen Ton, auch eine sehr spannende Thematik, die man jetzt einem jungen Menschen auch nicht sofort zutraut.
01:05:53: Und was kommt als Nächstes?
01:05:59: Gegenwart, oder?
01:06:01: Ja, das kann ich sagen, Gegenwart.
01:06:04: Mehr kann ich nicht sagen.
01:06:07: Gut, dann hören wir sie jetzt noch mal zum Abschluss.
01:06:53: Dort, auf einer Bank und einer Linde, hatte sie alle seine Briefe gelesen.
01:07:00: Nun standen sie, noch immer händehaltend davor und wussten nicht, was man in einer solchen Situation tat.
01:07:08: Am Eingang hakte der Wächter den Kiesweg, ansonsten war der Park leer.
01:07:14: Und jetzt, fragte Matilda, es war das erste Mal, dass Pisteire Stimme hörte.
01:07:20: Er hatte sie sich anders vorgestellt, aber das machte nichts.
01:07:24: Sie war ihm sofort vertraut.
01:07:28: Ich weiß nicht, aber ich halte gern deine Hand.
01:07:31: Mir gefällt es auch.
01:07:33: Dann lass uns nicht damit aufhören, schlug Pista vor.
01:07:36: Matilda nickte.
01:07:40: Als es dämmerte und sie nach Hause musste, stand Pista auf und hielt er den Arm hin, so wie er es bei seinem Vater und den Filmen gesehen hatte.
01:07:49: Matilda lachte darüber, ohne dass er wusste, weshalb hakte es sich dann, aber trotzdem unter.
01:07:56: So verließen sie den Park.
01:07:58: nickten Schüchtern dem Wächter zu, der hinter ihnen das Torschloß, ging schweigend die Straße hinab und Genossenes nicht allein zu sein, als die Gaslaterne aufleuchteten.
01:08:10: Das ist der schönste Moment des Tages, meinte Pista.
01:08:13: Und Matilda sagte gleichzeitig, ich werde immer ganz melancholisch, wenn die Lampen angehen.
01:08:20: Sie sahen sich an und lachten.
01:08:23: Vor Matildas Haustür standen sie wieder vor demselben Problem wie zuvor.
01:08:27: Beide wussten nicht weiter.
01:08:29: Wie verabschiedete man sich, wenn man eine ganze Stunde Hände haltend nebeneinander gesessen und sich unterhalten hatte?
01:08:36: Weshalb lernte man solche Dinge nicht in der Schule?
01:08:39: Wieso wurde einem beigebracht, wie man das Volumen der Pyramiden von Gizeh oder die Fallgeschwindigkeit eines Laubplatz berechnete, aber nicht, wie man lebte?
01:08:51: Und jetzt fragte Pista?
01:08:54: Ich weiß nicht.
01:08:55: Aber könntest du, bevor du gehst, einmal meinen Namen sagen?
01:08:59: bis er spürte, wie ihm warm wurde.
01:09:02: Er blickte über seine Schulter, blickte die Straße hinauf und hinab, als wäre er im Begriff etwas Verbotenes zu tun.
01:09:09: Dann sagte er den Namen, den er in den letzten Wochen öfter als jedes andere Wort in seinem Leben gedacht und geschrieben hatte.
01:09:18: Danke, sagte Matilda.
01:09:20: Stellte sich auf die Zehenspitzen, zog ihn an seinen Mantelkragen zu sich hinab, gab ihm einen Kuss, einen richtigen, echten Kuss mitten auf den Mund.
01:09:30: und verschwand dem Treppenhaus, bevor er noch etwas sagen konnte.
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