Die Vergangenheit kann einen Menschen nicht verlassen
Shownotes
Leserinnen und Leser kennen Anna Prizkau als langjährige Redakteurin im Feuilleton der Sonntagszeitung oder als Erzählerin mit ihrem Buch „Fast ein neues Leben“. Jetzt hat sie einen Roman veröffentlicht und „Frauen im Sanatorium“ mitgebracht auf die Frankfurter Buchmesse. In dieser Sonderfolge des Bücher-Podcasts hören Sie ihr Gespräch mit Tobias Rüther auf der Bühne der F.A.Z.
Anna Prizkaus Roman „Frauen im Sanatorium“ auf der Website von Rowohlt Hundert Augen
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Transkript anzeigen
00:00:08: Leserinnen und Leser kennen Anna Pritzkau als langjährige Redakteurin im Völternde-Sondagszeitung oder als Erzählerin mit ihrem Buch Fast ein neues Leben.
00:00:18: Jetzt hat sie einen Roman veröffentlicht und Frauen im Sanatorium mitgebracht auf die Frankfurter Buchmesse.
00:00:25: In dieser Sonderfolge des Bücher-Podcasts hören sie ihr Gespräch mit Tobias Rüter auf der Bühne der FHZ.
00:00:34: Herzlich willkommen.
00:00:36: Guten Nachmittag am Stand der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
00:00:39: Mein Name ist Tobias Rüter.
00:00:40: Ich bin für die Sonntagszeitung, für Literatur zuständig und freue mich auf kaum zu beschreibende Art und Weise, dass meine leider ehemalige, aber immer noch in toller Erinnerung gebliebene Kollegin Anna Pritzkau neben mir sitzt, die ihren ersten Roman auf dieser Messe vorstellen darf, Frauen im Sanatorium.
00:00:59: Bicke-Pause für Anna Pritzkau.
00:01:05: Ich bin auf rätselhafte Art und Weise, obwohl ich mit Anna seit Jahrzehnt zwölf, glaube ich, mehr oder weniger auf einem Flur gearbeitet habe, angespannt, weil das schon eine komische Situation ist.
00:01:15: Anna und ich haben jahrelang eben für die Sonntagszeitungen gemeinsam im Föhrtorn gearbeitet.
00:01:19: Ich erinnere mich an ihren ersten Tag, als sie als Praktikantin zu uns kam von der UDK in Berlin.
00:01:26: Und es ist schon, wir haben gerade gerade kurz drüber geredet, Ein interessanter Rollenwechsel jetzt auf einmal.
00:01:33: Nicht mehr für Anna, aber auch für mich.
00:01:36: Anna ist jetzt nicht mehr die Journalistin, die hier sitzt, sondern mit ihrem Buch.
00:01:38: Und ich interviere jetzt nicht meine Kolleginnen, sowas kommt sowieso nie vor, sondern die Schriftstellerin Anna Pritzkau.
00:01:44: Und deswegen würde ich gerne als erstes einfach nur mal von dir wissen, wie fühlt sich das eigentlich gerade für dich an auf der Messe, wo du so oft ja als Journalistin unterwegs gewesen bist, jetzt als Schriftstellerin zu sein?
00:01:58: Ich verstehe es überhaupt nicht.
00:02:00: Weil ich ja die Fragen früher gestellt habe und jetzt werde ich gefragt.
00:02:03: Ich hoffe, du hast was Gutes dabei.
00:02:06: Weil die beste Geschichte über gefragt werden ist von Zaubello.
00:02:13: Den kennen wahrscheinlich alle.
00:02:15: Eine Bellpreisträger und Isaac Singer.
00:02:17: Die waren ein bisschen befreundet.
00:02:19: Singer hatte eine Lesung irgendwo in Connecticut oder keine Ahnung wo.
00:02:23: Und Zaubello's Freund hat das moderiert.
00:02:27: Deswegen ruft Singer Sol Velo an und sagt, Sol, ich habe diese Veranstaltung und kannst du deinen Freund bitte ausrichten, mich eine Sache zu fragen.
00:02:37: Meine Bücher werden immer mit Schageils Bildern verglichen.
00:02:41: Kannst du ihn bitte sagen, dass er mich das fragt?
00:02:44: So, er sagt ja okay mache ich, schickt dann seinen Freund dahin mit der Frage.
00:02:48: Sie machen die Lesung, Singer und der Freund von Bello.
00:02:51: Alles läuft super.
00:02:52: Am Ende fragt der Freund und darf ich kurz wissen, warum werden ihre Bücher mit Schergeilsbildern verglichen?
00:02:59: Daraufhin sagt Singer, so eine dumme Frage habe ich noch nie in meinem Leben gehört.
00:03:05: Mist, also ich hatte was Ehliches vorbereitet, das geht jetzt nicht mehr.
00:03:10: Ja, es ist auf jeden Fall, glaube ich, ein Thema gleich für das Gespräch, was hier miteinander führen sollten.
00:03:16: Der Wechsel eben auch, was das Schreiben eines Romanes und die andere Sprache der Literatur angeht, gemessen daran oder im Vergleich zu dem, was du vorher und auch immer noch tust als Reporterin und auch Journalistin.
00:03:33: Wir sind hier aber für einen Roman, der in Ich würde sagen, in einer Gegenwart spielt, die du reporterisch erforscht hast, aber die... Es ist ein bisschen so zurückgesetzt.
00:03:46: Wir sind im Sanatorium.
00:03:48: Das ist die Geschichte.
00:03:49: Mehrere demolierte von Erinnerungen, von schrecklichen Ereignissen in ihrem Leben, von Glück und Unglück.
00:03:56: Beschädigte Menschen versuchen miteinander... wieder in die Spur zu kommen.
00:04:01: Und das ist, glaube ich, so ganz grob.
00:04:03: Die Geschichte, die Hauptfigur heißt Anna.
00:04:07: Ja, das ist, weil ich so lange Journalistin war, fällt mir schwer, Sachen auszudenken.
00:04:15: Oder ich bin sehr schlecht mit Namen.
00:04:17: Also jedenfalls darüber reden wir dann gleich auch, inwiefern es da irgendwelche Motive gibt, aber vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig.
00:04:22: Jedenfalls, aber die Geschichte ist eben eine Frau, die deinen Namen trägt, die aus einem anderen Land nach Deutschland gekommen ist, bringt Geschichten, bringt Traumata, familiäre Katastrophen, Unglück mit sich und sie landet in diesem Sanatorium, um zu kurieren.
00:04:41: Wir spoilern nicht, wie es ausgeht.
00:04:43: Sie trifft auf andere Menschen, auf eine Gruppe von Soldaten und eine Soldatin, die auch zum Auskurrieren dort landen.
00:04:49: Sie trinken, sie rauchen, sie haben Sex, sie, soweit ich mich richtig erinnere.
00:04:56: Und jedenfalls ist es ein Ort außerhalb der Zeit, in der es aber um die, kann man sagen, die Traumata der Gegenwart geht, die dort eben aufgearbeitet werden sollen.
00:05:06: Der Text dieses Buches ist auf eine traumwanderische Art und Weise.
00:05:10: Elegant.
00:05:11: Ich weiß nicht, ob es auch da nicht das ständig wirklich geraucht und getrunken gefeiert wird.
00:05:16: Ich würde dich einfach bitten, dass du ein paar Absätze vorliest, damit wir ein bisschen was vom Sound hören.
00:05:21: Okay.
00:05:23: Ich muss gucken, ob ich das hinkriege mit Mikro halten und lesen.
00:05:26: Kannst du es halten?
00:05:28: Ja?
00:05:30: Was für ein Luxus.
00:05:31: Danke.
00:05:31: Hört man Milch?
00:05:34: Als ich ein Kind war, malte mir meine Mutter mit ihren Fängern Kreise auf die Wangen.
00:05:38: Sie waren sanft und unsichtbar.
00:05:41: Ich liebte ihre langen Nägel immer in rot lackiert und ihre Hände die meistens kalt waren.
00:05:46: Das letzte Mal, als sie die Kreise machte, ging ich noch zur Schule.
00:05:50: Vielleicht schon in die achte Klasse, vielleicht auch in die siebte.
00:05:53: Ich dachte jetzt an diesem Tag und fuhr mit meinem Zeigefinger, meinem Mittelfinger über die linke Wange, über die Lippen, dann über die andere Wange, als würde ich mir ein Lächeln aufs Gesicht aufmalen.
00:06:04: Die Vögel standen im Grau, braunen sie des Korbparks und treten ihre Köpfe.
00:06:09: Nach links, nach rechts, nach links, doch da war niemand.
00:06:12: Nicht links, nicht rechts, da waren rote Bäume, es war Herbst.
00:06:16: Pipik streckte seinen Hals und ich erzählte ihm von meiner Mutter.
00:06:20: Das machte ich jeden Tag, seitdem ich die Tabletten nahm, die mir morgen, jeden Morgen, die magere und große Krankenschwester mit den korallen roten Lippen brachte.
00:06:29: Seit zwei Wochen.
00:06:30: Seitdem war alles wie ein Watte und ich redete mit einem Vogel.
00:06:33: Er hatte blasse Federn, sie waren beinahe weiß, nicht rosa, wie die Federn der anderen Vögel, die im Chorpak am See mit Pepeck lebten.
00:06:41: Nicht pink, wie die Federn der Flamingos in der zu lauten Werbung für Saturn.
00:06:46: Oder war es die Werbung für Sephora?
00:06:48: Ich wusste es nicht mehr.
00:06:49: Für was war denn die Werbung, sagte ich?
00:06:52: Doch der Flamingo schwieg.
00:06:54: So, ungefähr.
00:06:55: Vielen Dank.
00:07:01: Ich finde, die Stelle dieser Sanfte raffiniert sich immer weiter voran bewegende Sound, in dem es aber immer wieder um wirklich furchtbare, auf dieses Wortkommen nachher auch noch Lügengeschichten gibt und Verletzungen und Traumata trägt, also diesen ganzen Roman.
00:07:19: Ich würde gerne ... Sie müssen mir bitte das nachsehen.
00:07:22: Ich rede jetzt mit der ehemaligen Kollegin und waren sich neugierig, wann in dieser Zeit, der sie unglaublich tolle Reportagen aus dem Ukraine-Krieg für uns geschrieben hat und damit zurückkam, ich würde gerne einfach ganz platt von dir wissen, wann hat das wie angefangen, diese Geschichte?
00:07:37: und wie hast du, das ist die zweite Frage, vielleicht die schwierigere, wie hast du es hinbekommen aus dem einen Tonfall in den anderen zu wechseln?
00:07:45: Das muss ja zum Teil, stelle ich mir vor, Am Abend des gleichen Tages vielleicht gewesen sein.
00:07:50: Nein, nein.
00:07:52: Ich kann nur schreiben, also literarisch und journalistisch muss ich trennen.
00:07:56: Also ich habe das am Wochenende manchmal geschrieben oder im Urlaub.
00:08:01: Und ich habe ja damit angefangen, als ich für den Bachmannpreis eingeladen war, da musste ich eine Geschichte schreiben.
00:08:07: Und die ist auch Frauen im Sanatorium.
00:08:10: Und das lief nicht so gut für mich leider.
00:08:13: Aber so habe ich damit angefangen.
00:08:16: Vor fünf Jahren war das oder vor vier.
00:08:18: Ich weiß das nicht ganz genau.
00:08:19: Und dann habe ich ja gekündigt, damit ich weiterschreiben kann.
00:08:22: Leider.
00:08:22: Leider, ja.
00:08:25: Aber es ist ja dann doch so, wenn ich jetzt auf die letzten fünfzehn Jahre, die wir gemeinsam tatsächlich drei Türen weiter, saß Anna, miteinander an dieser Zeitung gearbeitet haben.
00:08:37: Es ist aber dann ja doch, egal, ob du jetzt abends es machst oder am Wochenende oder dann dir die Auszeit nimmst dazu, den Ferien, einen Wechsel von einem Ton in den anderen.
00:08:46: Hat dich das... Hat dich das beschäftigt, oder konntest du einfach losschreiben?
00:08:53: Wie gesagt, ich konnte es nur machen, wenn ich gerade keine Reportage oder Kontext für der FZ geschrieben habe.
00:09:00: Und es hat auch lange gedauert.
00:09:02: Ich habe ja letztes Jahr im Sommer gekündigt.
00:09:05: Und ich hab wahrscheinlich erst zwei Monate später begriffen, dass man ja sich alles ausdenken kann.
00:09:11: Das war so ein schönes Gefühl zu wissen, du kannst einfach lügen, du kannst Leute ermorden, du kannst alles in Büchern tun, was du normalerweise vielleicht nicht machen solltest.
00:09:24: Es ist so, dass diese Geschichte, man vermutet möglicherweise, Ich glaube, ich weiß nicht mal, ob das Wort Russland ein einziges Mal in diesem Buch
00:09:33: verfällt.
00:09:33: Auf keinen
00:09:34: Fall.
00:09:34: Auf keinen Fall, genau.
00:09:35: Man malt sich aber eben aus, irgendwo dort... kommt diese Familie her, Anna und ihre Eltern, die der Vater verlässt die Mutter, das Trauma zieht mit ihnen nach Deutschland und bleibt in der Familie weiter erhalten.
00:09:49: Im Hintergrund flackern die Ideologien der Sowjetunion und Russlands.
00:09:55: Es flackern militärische Auseinandersetzungen, die kommen dann rein in den Text durch die Bundeswehrsoldaten, die eben auch in dieses Sanatorium kommen.
00:10:03: War das aber schon so, dass es dir klar war, wenn du eine Geschichte schreibst, die so ungefähr jetzt spielt, dass die nicht frei sein kann von den Konflikten der Gegenwart, die wir gerade austragen?
00:10:14: Ich glaube schon, weil man ja als schreibender Mensch, auch als literarisch schreibender Mensch ja berührt ist von dem, was passiert und dass dieses Grauen, was gerade los ist, ja in einem arbeitet.
00:10:31: Wobei meine Soldaten sind, wie du gesagt hast, Bundeswehrsoldaten, keine ukrainischen, mit denen ich sonst oft zu tun hatte.
00:10:39: Und ich habe tatsächlich welche in einer Klinik kennengelernt.
00:10:44: Ich habe zu Recherchezwecken mich selbst eingewiesen und viel geraucht und getrunken mit ihnen.
00:10:51: Ich will gar nicht so sehr auf diesem Zusammenhang drum reiten, aber es gibt einen wirklich ergreifenden Satz in diesem Buch.
00:10:59: der aber die Verbindung quasi herstellt.
00:11:00: Da sagst du über eine Frau oder Anna sagt über eine Frau, sie sah so aus, als habe sie gerade einen Krieg erlebt.
00:11:06: Und ich ... In den letzten Jahren, auch hier, ich habe hier mit Tanja Marjáčuk, der ukrainischen Schriftstellerin, die seit langem im Wien lebt, gesessen, die nicht mehr schreiben kann, seitdem dieser Krieg ausgebrochen ist.
00:11:16: Und ich habe das Gefühl, dass diese Augen, die was gesehen haben, dahinter gehen, die können nicht hinter eine gewisse Erkenntnis zurückgehen, wenn es um literarisches Schreiben geht.
00:11:26: Insofern finde ich die Frage eben schon auch interessant.
00:11:30: Mir ist klar, dass das jetzt nicht ein Ergebnis deiner Reportagen sind.
00:11:35: Wenn du mal so mal nachdenkst, wäre es jetzt auch denkbar gewesen, eine komplett andere Geschichte als erstes zu schreiben, in der diese Erfahrungen, also die Augen, die den Krieg gesehen haben, die nicht vorgekommen wären, wäre das denkbar für dich gewesen?
00:11:50: Für mich nicht, aber die zierte Stelle von dir?
00:11:54: Ja.
00:11:55: Da ist die Frau, die so guckt, einfach nur sauer, weil sie ihre Stieftochter gerade trifft, die sie nicht besonders mag.
00:12:03: Also es hat nicht wirklich was mit Krieg zu tun.
00:12:07: Und auch ist es aber eine schöne Formulierung, wo man dann sich... Es gibt ein paar Dinge tun diese Menschen, also das ist ein Sanatorium, die hocken da zusammen.
00:12:18: Sie reden unendlich viel, sie erzählen sich ihre Lebensgeschichten.
00:12:25: Es gibt auch Texte, Erinnerungen in den Analyst-Lebensgeschichten einer der Leben der einzelnen Leute, Menschen, die dort vorkommen.
00:12:33: Es wird so unendlich viel geredet, es wird unendlich viel getrunken.
00:12:36: Und wo man sich immer fragt, wie ist das denn möglich?
00:12:38: Einmal brechen Sie in den Medizinen.
00:12:40: Das geht
00:12:40: schon ganz gut auch.
00:12:41: Auch das kannst du aus eigener Verordnung.
00:12:44: Aber als andere was in diesem Buch, wo es eben viel um Traumata, Bewältigung, also gar nicht um diesen Jagon, aber sozusagen es geht darum Traumata zu überwinden oder zu bearbeiten oder zu verstehen.
00:12:57: Was mir aufgefallen ist, ich glaube, ich habe in letzter Zeit kein Buch gelesen, wo so oft das Wort Lüge vorkam.
00:13:02: Also es wird ständig gelogen oder es wird als Vorwurf gesagt, du lügst doch, es wird tatsächlich eben ständig irgendwie die Vergangenheit umgeschrieben und so weiter.
00:13:13: Das ist wie ein Leitmotiv dieses Buches.
00:13:16: Ist das und würdest du sagen, Sind das unterschiedliche Lügen?
00:13:20: Lügen die einen, um sich selbst zu schützen oder die anderen zu schützen?
00:13:22: Sind das Lügen, damit man besser mit der Vergangenheit klarkommt, die man so verändern oder schöner machen will?
00:13:31: Alles, denn schau mal.
00:13:33: Du hast bestimmt heute auch schon gelogen.
00:13:36: Wie geht's dir, Tobias?
00:13:38: Sehr gut.
00:13:40: Jeder lügt ständig und wir belügen uns selbst, obwohl wir wissen, dass es nicht gerade gut ist.
00:13:47: Und wie oft ich mich auch selbst belogen habe, indem ich es allein schon mich gut fand.
00:13:52: Ja.
00:13:54: Aber es hat natürlich auch gleich automatisch, und jetzt kommt die Schlauberger-Föhrtor-Frage, Erzählen ist natürlich auch Lügen auf einer Art und Weise.
00:14:01: Es hat aber schon was Leitmotivisches, weil es auch, es gibt einen anderen schönen Satz, den der fällt, die Vergangenheit kann einen Menschen nicht verlassen.
00:14:09: Was der dazu führt, dass, wenn man aber aufbrechen will und vielleicht glücklich werden will, und es geht genauso um Unglück wie Glück in diesem Buch, einem ja auch helfen kann, sich die Vergangenheit zurecht zu lügen, damit sie einen dann doch irgendwie verlässt, damit man sich ein etwas anderes erinnert, um besser mit der Gegenwart klarzukommen.
00:14:26: Das steckt ja schon auch da drin, dass Lügen etwas ist, mit dem man sich selber schützt.
00:14:37: Hast du das Gefühl, dass jetzt, wenn wir jetzt auf die Soldaten beispielsweise schauen, dass das eine Taktik ist?
00:14:42: Also, ist Lügen auch eine Taktik, um mit Traumata umzugehen, die eigentlich größer sind als das Gehirn, das verstehen kann?
00:14:51: Ich weiß gar nicht, ob sie so traumatisiert sind, meine Soldaten.
00:14:56: Aber gut, sie sind ja mit ... Und sie
00:14:57: lügen auch gar nicht so viel wie die Frauen.
00:15:00: Das sind irgendwie wahrscheinlich die Frauen, die Falscherinnen in meinem Buch als die Männer.
00:15:06: Ja, natürlich, es hilft.
00:15:08: Mir hilft, obwohl ich es auch nicht so oft machen möchte.
00:15:13: Es sind vor allen Dingen Frauen, verschiedene Frauen, eine ganze Gruppe von Frauen, die hier in dieser Geschichte zusammenkommen, die ganz unterschiedliche Familiengeschichten erlebt haben.
00:15:24: Aber es sind vor allen Dingen eigentlich immer schon die Probleme, um es ganz stumpf zu sagen, die sie mit ihren Eltern haben, die sie weiter tragen.
00:15:31: Ja,
00:15:31: aber das ist ja so.
00:15:34: Weil die Eltern, das ist ja die erste Liebe, die man in seinem Leben hat.
00:15:38: Also die größte Liebe wahrscheinlich, die erste, die man erlebt, wenn man Glück hat, Eltern zu haben.
00:15:45: Und die
00:15:45: tun
00:15:47: einen Sachen an, obwohl sie es nicht böswillig machen, manche nicht.
00:15:52: Und das zerkratzt ein.
00:15:53: Und dann hast du die erste Liebe und hast den ersten Schmerz.
00:16:01: Es fängt ja sofort an, weil du denken kannst.
00:16:06: weniger eine Traumatisierung.
00:16:08: Es ist dann in der Art von Enttäuschung, die man sein Leben lang mit sich rumteilt?
00:16:12: Nein, ich glaube, es sind dann schon wirklich Kratzer, die Eltern einen Kind an der Seele antun.
00:16:19: Würdest du dich dann...
00:16:20: Und bei mir zum Beispiel ist Zerrz auch nicht nur das.
00:16:24: Es gibt ja diese Migrationsgeschichte, von der du gesprochen hast.
00:16:26: Und das ist ja natürlich auch ein großes Traumat, ein Schmerz.
00:16:32: wenn du alles verlierst.
00:16:33: Also wenn du deinen Alltag verlierst, deine Freunde, deine Sprache.
00:16:37: Und das ist nicht nur für die Heldinnen ein großer Schmerz, sondern auch vor allem für ihre Eltern.
00:16:43: Das sieht sich eben tatsächlich immer wieder auch dann durch die... Im Grunde hat man das Gefühl, Unglück und Schmerz ist... Aber du schaffst es trotzdem?
00:16:58: Es
00:16:59: klingt so furchtbar, wie du es erzählst.
00:17:04: Ich würde mich aus dem Fenster stürzen, wenn ich das hören
00:17:07: würde.
00:17:08: Statt
00:17:09: dieses Buch zu lesen.
00:17:10: Ich
00:17:10: wollte sagen, dass du es schaffst.
00:17:13: Das wirkt wie das Gegengift zu diesem Trauma.
00:17:18: Da gibt es den Entschluss dazu, glücklich zu werden.
00:17:23: Die Hauptfigur, die sich selber im Spiegel anschaut und auch dann zum Teil... Also, ich will das Ende nicht vorwegnehmen, aber sie schaut sich selbst an und sieht auch ein anderes Ich, was sie erfunden hat, möglicherweise wie so eine zweite Existenz, die glücklicher ist als die beschädigt ist.
00:17:43: Es gibt aber genauso viel wie das Glück, das Unglück hier in der Rolle spielt, auch das geradezu leidenschaftliche und verzweifelte Sehne nach Glück.
00:17:55: Und dann gibt es die Frage und die beantwortest du mir jetzt.
00:17:59: Gibt es das Glück überhaupt?
00:18:05: Wenn ich jetzt das mit deinem Buch beantworten würde, dann würde ich sagen, es gibt sehr viele Möglichkeiten, irgendwie damit klarzukommen, dass man so haarscharft daran vorbei.
00:18:13: dass man sich über Schuhe noch zurechtfinden kann in mit einer Wahrheit über das eigene Leben.
00:18:18: Das klingt jetzt sehr verdreht, aber im Grunde, die reden ja auch permanent und reden sich ihre eigenen Geschichten so, dass man damit irgendwie klargucken kann.
00:18:28: Ich weiß nicht, gibt es Glück?
00:18:29: Jetzt wird es sehr philosophisch.
00:18:31: Wir können ja eine Abstimmung machen.
00:18:35: Ja, wer glaubt, dass es Glück gibt?
00:18:37: Ich mach das einfach.
00:18:37: Ja, wer glaubt, dass es Glück ist?
00:18:41: Okay, das ist die ... Sie sehen, so zufriedenheit gibt es.
00:18:46: Es gab jetzt mehr Arme, die hoch gingen als unten blieben.
00:18:51: Ich finde daran, dass, deswegen das mit der Lüge.
00:18:54: Ich finde, dass vielleicht die Wahrheit, um die das Buch kreist und Wahrheit ist eines der großen Wörter, Wahr und Schönheit.
00:19:01: Und du arbeitest ganz viel mit großen Wörtern auch in diesem Büsch.
00:19:05: Ja,
00:19:06: sind ja auch besser.
00:19:08: Die Wahrheit ist aber wahrscheinlich, dass es immer nur noch... dass man immer wieder versucht, es irgendwie zu finden.
00:19:17: Und um es zu finden, möglicherweise ist es auch die reine Tatsache, dass es Rauchen und Trinken dabei hilft, in diesen Zustand reinzukommen, oder?
00:19:24: Und Sex?
00:19:25: So ein großes Wort.
00:19:30: Ich würde trotzdem jetzt, ich versuche jetzt gerade, wir haben jetzt aber Sex geredet, Sex und Wahrheit.
00:19:38: Der Sound dieses Buches.
00:19:40: Es kommt mir so ein bisschen so vor, als würde der auch korrespondieren mit... Man hat das Gefühl, ohne, also ganz intuitiv, man ist hier in der russischen Welt, ohne dass man das überhaupt richtig verorten kann.
00:19:53: Man hat so das Gefühl, ich wusste die ganze Zeit, wegen Sanatorium, wegen so einem rausgehobenen Ort, an Solaris denken, also auch an so einem Ort, das ist die Geschichte von Stanislav Lem, ein Pole, von einer Raumstation, wo die Insassen, die gefangen da sind, immer wieder ihre eigenen Traumata, die kommen, die kommen sie besuch in Form von ihrem Liebsten, die gestorben, sondern wieder da sind, ist das, würdest du sagen, trifft der Eindruck, dass du schon einen bestimmten Sound auch nachgespürt hast, der eher in der russischen Literatur zu finden ist?
00:20:31: Oder ist es einfach die... Auf keinen Fall.
00:20:33: Ich bin mit russischsprachiger Literatur groß geworden, weil meine Eltern haben, als wir emigriert sind, ganz viele Bücher mitgenommen und sehr wenig Socken.
00:20:44: Und ich muss seit immer ein Buch lesen, einen Buch pro Monat, damit ich die Sprache nicht verlerne.
00:20:50: Ich war wahnsinnig sauer damals und jetzt bin ich sehr glücklich.
00:20:56: Aber bei mir fehlen ja auch so diesen siebzehntausend Vatersnamen, die in dieser Art Literatur immer auftauchen.
00:21:05: Ich finde, mein Idol ist Isaac Singer und ich mag es kurz und präzise.
00:21:13: Ja.
00:21:15: Und nicht so viel Tee trinken.
00:21:21: Um jetzt mal wegzukommen von der Autorin, die Reporterin, die in den Krieg gezogen ist, die Sachen gesehen hat, deren Augen eben den Krieg gesehen haben.
00:21:33: Wenn du jetzt mal, weil es mich jetzt einfach interessiert, das geht jetzt weg von dem tatsächlichen Text hier.
00:21:39: Wie würdest du sagen, hat das eigentlich deinen Stil als Autorin einer Wochenzeitung verändert.
00:21:46: Ist das was, dass du gemerkt hast?
00:21:48: Ja.
00:21:50: Ich glaube, ich habe verstanden, dass was dort passiert nichts mit uns zu tun hat, die hier im Frieden noch leben.
00:22:03: Und ich habe versucht, weniger pathetisch zu schreiben.
00:22:08: Und weniger zu leiden, weil ... Das hat mir Klitschko einmal gesagt, sogar im Interview für unsere Zeitung, hast du zwei Arme, hast du zwei Beine, dann geht's dir gut.
00:22:20: Und das hat dann dazu... Also, aber gleichzeitig ist es doch so, ich stelle mir vor bei diesen Augen, ich will jetzt gar nicht so sehr auf dieser Formulierung rumreiten, die Augen, die den Krieg gesehen haben, es sind ja dann zum Teil wirklich auch überwältigende, kaum in Worte zufassende, was in der Erlebnisse dann eben das zerstörte... Mario Pol bist du nicht gewesen, aber du stehst vor einer zerstörten Ruine ins Haus.
00:22:46: und das erstmal überhaupt in Worte zu fassen, fordert ja eine... fordert ja im Grunde ein...
00:22:50: Das ist eigentlich unmöglich.
00:22:52: Weil
00:22:52: du kannst ja, du kannst auch den Geruch beschreiben.
00:22:54: Wenn du in so einer Ruine stehst, dann riecht es ja auch extrem.
00:22:58: Also man riecht nicht nur die verbrannten Körper, man riecht auch die kaputten Toiletten und das... Das ist eigentlich nicht möglich zu beschreiben, glaube ich.
00:23:08: Außer vielleicht von Selja Dahn, der macht das ganz gut.
00:23:11: Ja, der ist ja auch ein Freund von dir geworden über die Jahre.
00:23:16: Und der eben auch hier, ich finde das eben, man kann eben, wir müssen kurz eben dann und zum Abschluss wirklich eben dann auch über diesen weitergehenden Krieg ja auch.
00:23:24: gesprochen haben, weil er einfach ich das Gefühl habe im Hintergrund ist es eben der Kulturkreis aus dem Anna, die Erzählerin dieses Buches kommt und
00:23:32: es kommen auch ukrainische Bräuche vor, die aber nicht als ukrainische Bräuche vorgestellt werden.
00:23:38: Es gibt an Weihnachten.
00:23:48: Das ist ein Buch, das schafft die Traumata der Gegenwart in einen so leichten und fließenden Ton zu verwandeln.
00:24:06: Ich finde es ein wunderbares Buch.
00:24:15: Ich freue mich unglaublich, dass du es geschafft hast, nebenher und am Ende unserer gemeinsamen Zusammenarbeit dieses Buch zu schreiben.
00:24:23: Dass ich dich als Schriftstellerin nennen darf, finde ich toll.
00:24:29: Danke, dass Sie da waren.
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